Auch denjenigen, die sich nicht explizit mit der Geschichte der Kryptografie beschäftigt haben, wird die „Enigma“ ein Begriff sein. Nicht zuletzt auf Grund einiger Filme, die sich dieser Verschlüsselungsmaschine widmen. Viele Produktionen stellen dabei die Rolle der Briten oder die vermeintliche Rolle der Vereinigten Staaten beim Dechiffrieren der Enigma in den Vordergrund.
Insbesondere der mit einem Oscar ausgezeichnete Kassenschlager „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ beschäftigt sich mit den Ereignissen in der streng geheimen Einrichtung der britischen Codeknacker in Bletchley Park in der Nähe von London und dem persönliche Schicksal Alan Turings. Denjenigen, die den Film noch nicht kennen, sei er an dieser Stelle empfohlen. Auch wenn einige Details aus dramaturgischen Gründen verändert wurden, illustriert der Film unterhaltsam die Arbeit der Codeknacker.
Dass im Vorfeld der Entwicklungen in Bletchley Park schon eine massive Vorarbeit am System der Enigma stattgefunden hatte, wird jedoch in der Regel in Filmen nicht thematisiert. Diese Geschichte ist nicht minder interessant und soll in diesem Beitrag kurz angerissen werden.
Die Entwicklung der sogenannten Rotorchiffriermaschinen lief nicht erst im Zweiten Weltkrieg an, sondern begann bereits deutlich früher. 1918 meldete der deutsche Ingenieur Arthur Scherbius seine „Enigma“ zum Patent an. Die Verschlüsselung dieser Chiffriermaschine basierte auf einem System von Rotoren, auch Walzen genannt. Jede der ursprünglich drei Walzen war mit den 26 Buchstaben des Alphabets versehen. Ähnlich wie beim Zahlenschloss des Fahrrads muss die richtige Kombination der drei Walzen entweder bekannt sein oder herausgefunden werden.
Die theoretisch möglichen 17.576 Stellungen waren eines der grundlegenden Probleme beim Knacken der Enigma. Zusätzlich waren die Rotoren auf spezielle Art verdrahtet, um die Verschlüsselung noch schwieriger zu gestalten. Neben einer militärischen Variante lieferte Scherbius auch kommerzielle Enigma-Maschinen mit anderem Verdrahtungsschema aus.
Nach dem Ersten Weltkrieg waren insbesondere polnische Militärs an den Inhalten von verschlüsselter Kommunikation interessiert, da man vermutete, die Deutschen würden verlorene Gebiete zurückerobern wollen. Durch das Studium der kommerziellen Enigma hatten die polnischen Analytiker die Grundzüge des neuen Systems verstanden. Das Projekt steckte jedoch fest, da man keine Informationen über die Bauweise der militärischen Walzen besaß.
Erst durch die Hilfe des deutschen Spions Hans-Thilo Schmidt, Deckname „Asche“, gelangen weitere Fortschritte beim Decodieren der Enigma. Schmidt hatte familiäre Verbindungen in hohe militärische Kreise und konnte so Informationen liefern, die Rückschlüsse auf die militärische Enigma zuließen. Er übergab die Unterlagen zunächst dem französischen Geheimdienst, der jedoch nichts damit anzufangen wusste. Im Rahmen eines Kooperationsabkommens wurden die Erkenntnisse aber mit dem polnischen Geheimdienst geteilt.
Die polnischen Codierungsexperten erkannten, dass die Verschlüsselung der Enigma einen anderen Typ Codeknacker erforderte. Bisher beschäftigte man vor allem Sprachwissenschaftler, die die Logik hinter den Codes erschließen sollten. Nun suchte man vorwiegend begabte Mathematiker, um das mechanische Verfahren der Enigma zu durchschauen. Rekrutiert wurden drei junge Wissenschaftler von der Universität Poznań. Die Stadt gehörte bis 1918 unter dem Namen Posen zum Deutschen Reich, was den Vorteil bot, dass die neuen Analytiker alle die deutsche Sprache beherrschten.
Der Geschickteste unter ihnen war Marian Rejewski – ein 23 Jahre junger Mann, der Statistik studiert hatte. Ihm gelang es durch die Untersuchung von sich wiederholenden Wörtern in den chiffrierten Texten Rückschlüsse auf die Ausgangsstellung der Walzen zu ziehen. In extrem kleinteiliger Arbeit erreichte Rejewski, dass nicht nur diese Einstellung, sondern auch die weiteren Mechanismen der Chiffriermaschine geknackt wurden. Er konnte damit bereits im Jahr 1932 die Verschlüsselung der Enigma brechen.
Dazu war allerdings ein hoher Personalaufwand nötig. Etwa 100 Helfer suchten nach dem jeweiligen Enigma-Tagesschlüssel, nämlich der richtigen Kombination aus den 17.576 Walzenstellungen. Um diese Arbeit zu beschleunigen entwickelten die drei Mathematiker eine Maschine, die den Suchvorgang beschleunigen sollte. Sie nannten ihre Erfindung „Bomba“ – ein Name, den Alan Turing auch für seine eigene Entschlüsselungsmaschine nutze. Auf diese Weise zollte er der Vorarbeit der polnischen Codeknacker Tribut.
Einige Zeit war der polnische Geheimdienst in der Lage, viele verschlüsselte Nachrichten mitzulesen. Das änderte sich jedoch schlagartig, als das deutsche Militär eine kleine, aber wirkungsvolle Veränderung an der Enigma vornahm. Man erhöhte die Zahl der zur Verfügung stehenden Walzen auf fünf und wählte aus diesen dann drei aus, die in die Chiffriermaschine eingelegt wurden.
Auf diese Weise steigerte sich der Aufwand, den Tagesschlüssel zu finden, um den Faktor zehn. Durch diese und einige weitere Änderungen war den polnischen Codeknackern das Mitlesen nicht mehr möglich. Dass die Enigma theoretisch zu knacken war, hatte man bewiesen. Allerdings erhöhte sich der technische Aufwand in einem Maße, den man nicht mehr bewältigen konnte.
Im selben Zeitraum nahm zudem die Bedrohung durch das deutsche Militär stetig zu. In Anbetracht des drohenden Angriffs im Jahr 1939 entschloss man sich, das wertvolle Wissen um die geknackte Enigma an die Geheimdienste der Briten und Franzosen abzugeben. Das Treffen fand in den Räumen des polnischen Chiffrierbüros im südlich von Warschau gelegenen Kabaty-Wald statt.
Es war besonders spektakulär, da die französische Seite ursprünglich die brisanten Informationen geliefert, aber die Bedeutung der Dokumente nie erkannt hatte. Dass die Hilfe des Spions „Asche“ es ermöglichte, die Enigma zu knacken, hatten die Franzosen nie erwartet.
In der Arbeit an der Enigma taten sich in der Folge dann jedoch vor allem die Briten hervor. Hier beginnt die Geschichte von Alan Turing und seiner Arbeit in Bletchley Park bei London. Anfang September 1939, kurz nach der Übergabe der brisanten Informationen, nahm Turing seine Arbeit auf. Mit dem Vorwissen, welches Marian Rejewski und seine Kollegen geliefert hatten, war der geniale Mathematiker in der Lage, das Rätsel um die Enigma vollständig zu lösen.
„The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ setzt Turing ein Denkmal – wenn auch nicht immer ganz historisch korrekt. Aber auch die Arbeit seiner Vorgänger sollte nicht vergessen werden, ohne die ein Erfolg der britischen Codeknacker kaum denkbar gewesen wäre.
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Veröffentlicht am: 03.10.2016