Am 5. März 1979 wurde Markus Wolf „geoutet“. Dieses „Outing“ – ein Begriff, der zu jener Zeit noch keinen Eingang in den täglichen Sprachgebrauch gefunden hatte – bezog sich jedoch nicht auf Wolfs Sexualität, sondern auf seine Identität.
Markus Wolf, Jahrgang 1923, floh vor den Nazis nach Moskau, wo er gegen Ende des Krieges beim Moskauer „Deutschen Volkssender“ als Kriegsreporter arbeitete. 1945 schickte man ihn in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ). 1949 wurde daraus die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Dort half er bereits früh beim Aufbau der DDR-Auslandsspionage, der Hauptverwaltung Aufklärung (H VA), welcher er ab 1952 bis 1986 als Leiter vorstand.
Bereits zu Lebzeiten galt Wolf als einer der erfolgreichsten Geheimdienstler der deutschen Geschichte. Zahlreiche bedeutsame Agentenwerbungen und Spionage-Operationen gingen auf sein Konto. Darunter unter anderem das gekaufte Misstrauensvotum 1972 gegen Bundeskanzler Willy Brandt. Viele erfolgreiche Methoden der Stasi-Aufklärung sollen ebenso auf seine Initiative zurückgehen. Dazu gehören zum Beispiel die „Romeo-Agenten“ oder das Einschleusen von Spionen in den Flüchtlingsstrom gen Westdeutschland.
Politisch schaffte es Wolf zwischen Hardliner Erich Mielke, seines Zeichens Minister für Staatssicherheit, und den politischen Interessen des Politbüros zu lavieren, ohne in größere Konflikte zu geraten. Dabei halfen ihm auch seine überaus engen Verbindungen nach Moskau.
Bis zum 5. März 1979 galt Markus Wolf als mysteriöse Legende, als „Mann ohne Gesicht“. Zwar kannten die westlichen Geheimdienste seinen Namen, jedoch existierte kein aktuelles Bild von ihm. Dies änderte sich Anfang 1979, als der Stasi-Offizier Werner Stiller nach einer spektakulären Flucht zum Bundesnachrichtendienst (BND) überlief. Dort identifizierte Stiller seinen ehemaligen Chef Markus Wolf auf einem Foto und machte die Sensation perfekt. Über das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL wurde dieser Erfolg des BND in der Welt bekannt gemacht.
Für Wolf und die HV A war dies eine große Niederlage, nicht nur an der Medienfront. Fortan konnte Wolf nur noch schwer unerkannt reisen, zum Beispiel zu Agententreffs im Ausland, zu denen er bis dato noch häufig unterwegs war. Dennoch blieb Wolf bis 1986 Leiter der HV A.
Sein Nachfolger wurde sein langjähriger Stellvertreter Werner Großmann, der diese Position bis zur Auflösung der H VA im Jahr 1990 innehatte. Im Deutschen Spionagemuseum berichtet Großmann in Zeitzeugen-Interviews von seiner Tätigkeit für die Auslandsaufklärung der DDR.
Foto: DER SPIEGEL 10/1979
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 05.03.2017