Winston Churchill sprach 1945 als erster von einem „Eisernen Vorhang“, der Europa zwischen Ost und West teilte. Spätestens mit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 bekam die Teilung Europas ein monströses Gesicht. Nach der Wende 1989 machte bald das Schlagwort von der „verlängerten Mauer“ die Runde, die nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch durch die Tschechoslowakei, Ungarn und Bulgarien verlief. Und tatsächlich wagten nach dem Bau der Berliner Mauer viele DDR-Bürger die riskante Flucht über die sozialistischen „Bruderstaaten“. Einige von ihnen bezahlten dieses Unterfangen mit dem Leben, die meisten davon in Bulgarien.
Gleich zwei neue Untersuchungen beschäftigen sich mit der Frage der bulgarischen Staatsgrenze, der DDR-Todesopfer und der Zusammenarbeit von DDR- und bulgarischer Staatssicherheit. Nach über 25 Jahren, in denen diese Frage kam behandelt wurde, liegen nun endlich ausführliche Erkenntnisse und ein breiter Fundus an übersetzten Original-Dokumenten vor.
Diese wurden von dem souveränen Moderator und Welt-Journalisten Sven-Felix Kellerhoff sowie den Historikern Christopher Nehring und Fanna Kolarova am 9. Mai 2017 im Deutschen Spionagemuseum präsentiert.
Für die BStU (die Behörde des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen) untersuchte der Autor und Geheimdiensthistoriker Dr. Christopher Nehring die bulgarische Grenzsicherung, die Zusammenarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und bulgarischer Staatssicherheit sowie die bekannten Todesfälle. Die Publikation mit dem Titel „Tödliche Fluchten über Bulgarien. Die Zusammenarbeit von bulgarischer und DDR-Staatssicherheit zur Verhinderung von Fluchtversuchen“ wertet erstmals auch die bulgarischen Staatssicherheitsarchive aus.
Dieser Ansatz brachte einen wesentlichen Denkanstoß: Die bulgarische Grenze war keineswegs eine einfache „Verlängerung der Berliner Mauer“, sondern ein eigeständiges Gebilde. Dabei spielte das MfS eine wesentlich geringere Rolle, gerade bei den Todesfällen, als bisher angenommen.
Auch die Forschungen der bulgarischen Historikerin Fanna Kolarova und ihres Kollege Stojan Raichevsky führten zu ähnlichen Ergebnissen. Diese sind nun unter dem Titel „Flucht aus der DDR über den Eisernen Vorhang Bulgariens“ erschienen. Auf insgesamt 21 deutsche Todesfälle in Bulgarien kamen die Autoren, manche nur mit wenigen Dokumenten belegbar. Darunter einige besonders tragische und brutale Fälle.
Für die grundsätzliche Konzeption der bulgarischen Grenze hatten diese Fälle jedoch nur eine untergeordnete Rolle, wie Fanna Kolarova darlegen konnte. Auch das hartnäckige Gerücht einer „Kopfprämie“ von 1000 DM seitens des MfS für jeden getöteten DDR-Flüchtlinge wiesen alle Autoren einstimmig ins Reich der Mythen. Ein perfides Belohnungssystem existierte aber durchaus, bei denen Soldaten als auch die Bewohner der Grenzregionen von gefangenen oder erschossenen Flüchtlingen profitieren konnten.
Nach dem Ende der Präsentation der Ergebnisse der Studien entwickelte sich ein angeregtes Gespräch zwischen den interessierten Besuchern und den Experten. Bei diesem konnten weitere Unklarheiten geklärt und Details präzisiert werden. Zudem kam es zu Zeitzeugenberichten von Anwesenden, die das Thema noch greifbarer machten. Beide Historiker waren sich einig, dass die Studienergebnisse nur vorläufigen Charakter haben. Von einer abschließenden Aufarbeitung könne bisher nicht gesprochen werden. Weiteren Ergebnissen sehen wir mit Spannung entgegen.
Nächste Woche stehen gleich zwei Veranstaltungen im Deutschen Spionagemuseum an:
Am 17. Mai 2017 ist der letzte Leiter der Auslandsaufklärung der DDR, Werner Großmann, als Zeitzeuge zu Gast. Begleitet wird er von einem seiner ehemaligen Top-Agenten, Rainer Rupp alias „Topas“, und Peter Böhm, Autor eines jüngst erschienenen Buches über Großmanns Leben mit dem Titel „Der Überzeugungstäter“.
Am 18. Mai 2017 stellen die Autoren Christoph Franceschini, Thomas Wegener Friis und Erich Schmidt-Eenboom ihr neu erschienenes Buch „Spionage unter Freunden – Partnerdienstbeziehungen und Westaufklärung der Organisation Gehlen und des BND“ vor.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 12.05.2017