Faktencheck: “The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben”

Zur gestrigen Free-TV Premiere von „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ nimmt das Deutsche Spionagemuseum den Film noch einmal detailliert unter die Lupe. Bereits im Oktober 2016 hatten wir die polnischen Codeknacker um Marian Rejewski in unserem Blog gewürdigt. Leider kommen diese im Biopic zu Alan Turing nicht vor und bleiben dem großen Publikum verborgen.

Regisseur Morten Tyldum und Drehbuchautor Graham Moore stellen primär die Person Turings in Vordergrund. Die historische Lebensleistung des begabten Mathematikers – das Decodieren der Enigma Chiffriermaschine – ist dabei einer von mehreren Erzählsträngen. Einige dramaturgische Highlights werden wir in diesem Beitrag nicht vorwegnehmen. Andere Aspekte werden wir im Folgenden sezieren und auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersuchen.

Alan Turing – ein bindungsgestörter Autist?

Benedict Cumberbatch spielt Turing als schüchternes und zurückhaltendes mathematisches Genie ohne Gespür für soziales Verhalten. Das Vorstellungsgespräch bei Alastair Dennington, Leiter des GCHQ-Vorläufers Government Code and Cypher School, erinnert manchen Zuschauer nicht zu Unrecht an Sheldon Cooper aus The Big Bang Theory.

Genau hier setzt eine erste Kritik am Film an. Die stereotype Darstellung des mathematischen Genies als bindungsgestörter Autist ist in den Augen einiger Kritiker gänzlich falsch. Nicht wenige Biographen zeichnen Turing zwar als schüchternen Wissenschaftler, allerdings nicht in einem derartigen Extrem, wie es im Film portraitiert.

Die filmische Übertreibung mag aus Geschichten herrühren, die über Turing kursieren. Turing sei beispielsweise im Sommer mit einer Gasmaske über dem Kopf auf dem Fahrrad sitzend gesehen worden. Das wirkt kurios, scheint aber des Mathematikers effiziente Lösung gegen einen massiven Heuschnupfen gewesen zu sein.

Das Codeknackerzentrum Bletchley Park

Der Film konzentriert sich ganz explizit auf Turing und seine Arbeit. Dadurch wird die wahre Zahl der Angestellten in Bletchley Park nicht wirklich deutlich. Der Film vermittelt bisweilen den Eindruck, die wenigen mit dem Enigma Projekt betrauten Personen um Alan Turing wären die einzigen Mitarbeiter in Bletchley Park gewesen.
Stattdessen war dort eine Heerschar an Menschen damit beschäftigt, viele verschiedene Chiffriersysteme zu durchbrechen.

In der sogenannten „Hut 8“ waren Turing und Kollegen mit dem Code der Marine-Enigma beschäftigt. In anderen „Huts“ arbeitete man an der Enigma von Heer und Luftwaffe, an der Lorenz-Schlüsselmaschine oder analysierte die Nachrichten, die die Kollegen geknackt hatten. Einer der vermutlich letzten Codeknacker von Bletchley Park starb erst vor wenigen Monaten: Rolf Noskwith.

Alan Turing und der sowjetische Spion

Größter Kritikpunkt von Historikern und selbst des Biografen, auf dessen Werk das Drehbuch für „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ basiert, ist die Verbindung zwischen John Cairncross und Alan Turing. Cairncross arbeitete während des Zweiten Weltkrieges als Codeknacker in Bletchley Park. Er verriet Geheimnisse, auf die er Zugriff hatte, an die Sowjetunion. Vermutlich war er das lange unbekannt gebliebene Mitglied der sogenannten „Cambridge Five“, die wie er für die Sowjetunion spionierten.

Der Film stellt nun aber eine extrem unwahrscheinliche und nicht belegbare direkte Verbindung zwischen dem Spion Cairncross und dem Codeknacker Turing her. Für diese Episode wird der Film zu Recht scharf kritisiert – denn er stellt den eigentlichen Helden Turing in ein falsches Licht.

Turing entdeckt die illegale Tätigkeit seines Kollegen Cairncross und konfrontiert ihn mit den Tatsachen. Cairncross wiederum nutzt sein Wissen um Turings Homosexualität, um diesen zu erpressen. Daraufhin hält Turing sein Wissen um den Sowjetspion zunächst zurück. Damit macht er sich theoretisch des Hochverrats schuldig. Ein extremer Vorwurf, dem jegliche historische Grundlage fehlt.

Vor dem Hintergrund, dass der Film eigentlich Turings Lebensleistung und das auf Grund seiner Homosexualität erlittene Unrecht thematisiert, wirkt diese Episode absolut deplatziert. Der Film versucht zwar danach, den angerichteten Schaden wieder einzugrenzen. Dazu wird behauptet, die Identität von Cairncross sei selbst dem MI6-Chef Stewart Menzies bekannt gewesen. Man habe den Spion benutzt, um die Sowjetunion mit falschen Informationen zu versorgen.

Der problematische Zusammenhang von Turing und Cairncross bleibt jedoch viel eher in den Köpfen der Zuschauer hängen als die nachträglich bemühte Korrektur. Vor diesem schwerwiegenden Fehlschluss wirkt die im Film gezeigte Verwendung von Tipp-Ex, das erst in den 1950er-Jahren auf den Markt kam, fast unbedeutend.

Fazit

Trotz der gezeigten Schwachpunkte vermittelt der Film einen guten Eindruck der generellen Entwicklungen und Ereignisse, die zur Entschlüsselung der Enigma geführt haben. Als Einstieg in das Thema sicherlich empfehlenswert. Aber wie so oft bei großen Kino-Produktionen sollte man sich bewusst sein, dass die Realität immer mal wieder der Dramaturgie zum Opfer fällt.

Eine Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum wird sich explizit mit der Verknüpfung von Fiktion und Realität in Filmen beschäftigen. Am 11. August erklären Bond-Experten, wie stark die berühmten Super-Schurken aus den 007-Filmen mit der Wirklichkeit verknüpft sind.

Autor: Christoph Ewering

Veröffentlicht am: 04.07.2017