New York war in seiner Geschichte bereits Schauplatz von mehreren gewaltigen Anschlägen. Doch der erste große Anschlag in der Stadtgeschichte ist heute wenig bekannt – obwohl er in vielfacher Hinsicht interessant ist: Anscheinend wurde der erste terroristische Großanschlag auf die USA von deutschen Agenten verübt. Bis heute erfahren Touristen, die auf die Freiheitstatue steigen, dessen Nachwirkungen.
Am 30. Juli 1916 gegen 2:00 Uhr morgens erschütterten mehrere Detonationen die Stadt. Auf Black Tom Island, im Hafenbecken von New York gelegen, explodierten infolge kleinerer Brände mehrere Munitionslager. Insgesamt gingen 1000 Tonnen Munition und Sprengstoff in Flammen auf. Die Erschütterungen erreichten einen Wert von 5,5 auf der Richter-Skala und waren sogar bis Philadelphia zu spüren.
Im Umkreis von bis zu 40 Kilometern zerschlugen sie tausende Glasscheiben. Die herumfliegenden Trümmerteile beschädigten auch die Freiheitstatue auf der benachbarten Liberty Island erheblich. Alleine hier lag der Schaden bei etwa 100.000 US-Dollar.
Der komplette Sachschaden wurde damals auf 20 Millionen US-Dollar beziffert – das entspricht heute je nach Art der Berechnung einem Wert zwischen 365-440 Millionen US-Dollar. Neben den zahlreichen verletzten Personen gab es mehrere Todesopfer (die Angaben in den Quellen schwanken zwischen fünf und sieben).
Nachdem die Behörden zuerst von einem Unfall ausgingen, verdichteten sich in der Folge die Anzeichen, dass es sich um einen gezielten Anschlag handelte. Auch wenn die USA 1916 noch nicht in den Ersten Weltkrieg eingetreten waren, übten sie dennoch einen Einfluss auf die Kampfhandlungen im fernen Europa aus.
US-Produzenten verdienten viel Geld an dem Waffenhandel mit Frankreich, Großbritannien und Russland. In den Lagerhäusern auf der Black Tom Island lagerten Sprengstoffe und Munition, bevor sie nach Europa verschifft wurden.
Heute gehen viele Experten davon aus, dass deutsche Agenten den Anschlag verübten, um die Ausfuhr der Waffen an die Entente-Mächte zu verhindern.
Wer tatsächlich an dem Anschlag beteiligt war und ob es sich überhaupt um einen solchen handelte, ließ sich nie endgültig klären. Zu den potenziellen Drahtziehern zählten einige spannende Persönlichkeiten:
Zum Beispiel Franz von Rintelen, offiziell Mitarbeiter der deutschen Botschaft in den USA, tatsächlich aber zuständig für Spionage- und Sabotageaktionen. Seine veröffentlichten Kriegserinnerungen trugen den bezeichnenden Titel „The Black Invader“.
Auch der Militärattaché (und spätere Reichskanzler) Franz von Papen gehörte zum Kreis der Verdächtigen. Später machte die amerikanische Presse den slowakischen Einwanderer Michael Kristoff als Schuldigen aus. Angeblich habe dieser mit zwei deutschen Saboteuren agierte.
Trotz der unklaren Beweislage erklärte eine Kommission 1939, dass der Anschlag von Deutschland ausging. Auf Grundlage dieses Beschlusses zahlte die Bundesregierung den USA von 1953 bis 1979 eine Kompensationszahlung von 50 Millionen US-Dollar für die entstandenen Schäden.
Für einige Jahre etablierte sich „Black Tom“ in den USA im allgemeinen Sprachgebrauch als Bezeichnung für Explosionsereignisse. Präsident Roosevelt verwendete den Ausdruck beispielsweise 1941 im Zusammenhang mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour und der darauffolgenden Internierung japanisch-stämmiger US-Bürger.
Im Laufe der Zeit kam diese Redewendung außer Gebrauch. An die Black-Tom-Explosion erinnert heute eine Gedenkstätte in New Jersey, zu deren Landmasse die ehemalige Insel durch Landgewinnungsmaßnahmen mittlerweile gehört.
Eine Auswirkung der Black-Tom-Explosion ist bis heute erhalten: Ursprünglich war die Fackel der Freiheitsstatue ebenfalls für Besucher zugänglich. Nach den Reparaturarbeiten blieb sie für immer gesperrt.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 30.07.2017