Bei dem derzeitigen „Sommerwetter“ in Berlin stellt sich die obige Frage im Grunde nicht: Ohne Regenschirm geht derzeit gar nichts in der Hauptstadt der Spione. Doch abseits der üblichen Nutzung wurden Regenschirme in vielfältiger Weise von Geheimdiensten für diverse Zwecke umgebaut und eingesetzt.
Nur wenige Alltagsgegenstände haben die Geschichte des Kalten Krieges so geprägt wie der „Bulgarische Regenschirm“. Auf einmal wurde der Welt schlagartig gewahr, welch tödliche Wirkung listige Ingenieure nahezu jedem Objekt verleihen können.
Zur Erinnerung: Am 11. September 1978 starb der bulgarische Schriftsteller und Dissident Georgi Markow an einer Rizin-Vergiftung. Markow lebte im Londoner Exil, da er sich kritisch gegenüber dem Regime von Staatschef Todor Zhivkov geäußert hatte. Als er am 7. September 1978 mit den ersten Vergiftungserscheinungen im Krankenhaus erscheint, erinnerte sich Markow, morgens auf der Londoner Waterloo-Bridge von einem Mann angerempelt worden zu sein, der anschließend einen Regenschirm aufhob. Bei einer späteren Obduktion zeigte sich, dass das Gift mit einer winzigen Stahlkugel in Markows Bein injiziert worden war.
Nur wenige Wochen später meldete der in den Westen übergelaufene ehemalige Oberst der bulgarischen Militärspionage Vladimir Kostov einen ähnlichen Anschlag auf ihn in der Pariser Metro. Kostov vernahm ein Zischen und erblickte ebenfalls einen Regenschirm. Glück für ihn, dass die mit Rizin gefüllte Stahlkapsel unter seiner Haut stecken blieb und sich das Gift nicht im Körper ausbreitete. Der Kalte Krieg hatte nicht nur einen traurigen neuen Höhepunkt, sondern auch eine der perfidesten Mordwaffen: den „Bulgarischen Regenschirm“.
Endgültig aufgeklärt wurden die Hintergründe nicht, aber neue Enthüllungen brachten zunehmend Licht ins Dunkel: Wenn überhaupt, wäre es jedoch wohl eher ein „sowjetischer Regenschirm“ gewesen, jedenfalls laut dem langjährigen KGB-Oberst Oleg Kalugin. Dieser veröffentlichte nach dem Untergang der Sowjetunion eine ausführliche Schilderung darüber, wie der bulgarische Diktator Todor Zhivkov das KGB um Hilfe bei der Ermordung des regimekritischen Markow bat.
Daraufhin stellte Moskau nicht nur das Gift, sondern auch die Mordwaffe zur Verfügung. Neuere Untersuchungen zweifeln hingegen die Existenz eines solchen „bulgarischen Regenschirms“ an und sprechen von einer einfacheren Vorrichtung („Kontaktwaffe“). Auch Scotland Yard soll neue Untersuchungen in Bezug auf die Mordwaffe aufgenommen haben. Das Deutsche Spionagemuseum wartet gespannt und wird über neue Entwicklungen im Mordfall Markow berichten.
Bilder
Replik Bulgarischer Regenschirm: Sammlung Deutsches Spionagemuseum / Waterloo-Bridge: Adrian Pingstone
Funktionsprinzip Gift-Regenschirm: DO’Neil
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 07.09.2017