Die USA holen erneut Angestellte eines ihrer Konsulate heim. Nachdem bereits im April 2017 US-Diplomaten aus Kuba abgezogen wurden, beordert das State Department jetzt weitere Mitarbeiter aus China zurück.
Die Beamten aus dem Konsulat in Ghuangzhou klagten über Unwohlsein, Schwindel und merkwürdige Geräusche. Identische Symptome zeigten die Betroffenen Anfang 2017 in Havanna. Bereits nach den Geschehnissen auf Kuba wurde als Auslöser der Krankheit eine bisher unbekannte Schallwaffe vermutet.
Dass Geräusche schon vor einigen tausend Jahren zur Kriegsführung eingesetzt wurden, belegt anschaulich eine Episode aus dem Alten Testament. Während der Belagerung Jerichos lies der Heerführer Josua seine Truppen sechs Tage lang, von lauten Posaunen begleitet, um die Stadt marschieren. Am siebten Tag unterstützten seine Soldaten die Posaunen mit lautem Geschrei – „und die Mauer fielen um“ (Josua 6).
Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Stadtmauern unter der Belastung der Geräusche tatsächlich einstürzten. Vielmehr scheint die psychologische Kriegsführung hier erfolgreicher gewesen zu sein. Die bedrohliche Geräuschkulisse erzeugte so viel Angst, dass die Stadt aufgegeben wurde.
Im Zweiten Weltkrieg finden sich ähnliche Vorgehensweisen. Die deutsche Luftwaffe stattete ihre Sturzkampfflugzeuge (Stuka) Junkers Ju 87 mit Fahrtwindsirenen aus, die im Sturzflug ein lautes Geräusch erzeugten.
Das Heulen hat sich ins Gedächtnis der Angegriffenen gebrannt und bis heute wird der damals entstandene Ton mit abstürzenden Flugzeugen in Verbindung gebracht. Dass sich die Nazis damit bei einer Episode der jüdischen Geschichte bedienten und den Sirenen sogar den Beinamen „Jericho-Trompete“ gaben, mag heute für Schmunzeln sorgen.
Selbstverständlich wurde immer versucht, diese Verfahren weiter zu entwickeln. Der nächste gedankliche Schritt lautete dann: Kriegsführung durch Töne im für das menschliche Ohr nicht hörbaren Bereich.
Ein Artikel der ZEIT aus dem Jahr 1968 berichtet unkritisch über die Science-Fiction-artigen Experimente des französischen Wissenschaftlers Wladimir Gavreau, der aber gleichzeitig eingesteht, dass ein Infraschall-Kriegsgerät wohl zu klobig werden würde.
Die Theorie einer Waffe, die mit Tönen im nicht wahrnehmbaren Frequenzbereich arbeitet, wird jedoch immer wieder bemüht. So auch im Fall der erkrankten Diplomaten auf Kuba und in China. Fakt ist – und das berichten auf die Betroffenen selbst: Es gab hörbare Geräusche.
Der unangenehme Ton, dem die Mitarbeiter der Botschaft in Havanna ausgesetzt waren, ist sogar schon für jedermann zu hören. Die Nachrichtenagentur AP berichtete über die Tondatei und stellte sie auf ihre Website. Angenehm anzuhören ist der Ausschnitt wahrlich nicht, doch macht er auch in dem Ausmaß krank, von dem die Diplomaten berichten?
Mit den Details vertraute Personen sagten der Nachrichtenagentur, die Amerikaner seien dem Geräusch in einer hohen Lautstärke ausgesetzt gewesen, was zu den schweren Symptomen geführt haben könnte. Einen Verantwortlichen für die Angriffe hat die US-Regierung bis heute nicht identifiziert.
Es zeigt sich zudem, dass hier die Theorie der lautlosen Schallwaffe nicht haltbar ist. Das stützen auch Aussagen deutscher Experten, die den Fall analysiert haben. Sie halten solche Waffen nur unter Laborbedingungen und mit riesigem technischem Aufwand für funktionsfähig – und damit ungeeignet für den klandestinen Einsatz.
Die Technik der hörbaren, schallstarken Waffen hat sich indes weit verbreitet. Man nennt sie heute LRAD (Long Range Acoustic Device).
Sie gehören in die Kategorie der “non-lethal Weapons”, die – den richtigen Umgang damit vorausgesetzt – keine tödlichen Folgen für das Opfer haben. Die vom LRAD mit hohem Schalldruck ausgesendeten schrillen Töne können in über einem Kilometer Entfernung wahrgenommen werden, auf kürzere Distanz erzeugen sie große Schmerzen.
Eingesetzt wird die Technik im privatwirtschaftlichen, militärischen und polizeilichen Sektor. So wurden nach Angaben der Herstellerfirma schon Piraten beim Kapern von Kreuzfahrtschiffen gestoppt. Auch bei Demonstrationen gegen den G20-Gipfel in Pittsburgh (USA) fanden die Schallkanonen Anwendung.
Dass die Diplomaten auf Kuba und in China mit einer solchen Waffe attackiert wurden erscheint aus zwei Gründen unwahrscheinlich: Zum einen schützt ein einfacher Gehörschutz gegen die Angriffe, zum anderen klagten die Betroffenen noch nach ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten über Symptome der Krankheit. Ob hier eine neue Technologie zum Einsatz kam, wird sich vermutlich erst in mehreren Jahren zeigen.
Autor: Christoph Ewering
Veröffentlicht am: 15.06.2018