Geheimdienst und Spionage üben eine besondere Faszination aus. Von Geheimhaltung, Täuschung, Abschottung oder Aktenvernichtung geprägt, ist das öffentliche Wissen um Geheimdienste, ihre Mitarbeiter und deren Tätigkeiten rar. In diesem Vakuum sind außergewöhnliche viele Mythen entstanden. Doch Vieles, was früher noch „top secret“ war, kann heute enträtselt werden. Die Entmystifizierung von Geheimdiensten und Spionage hat begonnen – und damit die faktengesicherte Untersuchung.
Der wissenschaftliche Leiter des Deutschen Spionagemuseums Dr. Christopher Nehring hat darüber ein Buch geschrieben: „Die 77 größten Spionagemythen“, erschienen Anfang Juni 2019 beim Heyne Verlag. Zur Buchpremiere diskutierten der Autor und wissenschaftliche Leiter des Deutschen Spionagemuseums mit dem ehemaligen BND-Präsidenten (2011-2016) Gerhard Schindler über die Welt der Geheimdienste und ihre Mythen. Moderiert wurde die lebhafte Veranstaltung vom Geheimdienstexperten Prof. Helmut Müller-Enbergs.
Schindler, der sich in der Vergangenheit immer wieder mit unbequemen und markigen Aussagen zu aktuellen Themen zu Wort meldete, steuerte ein Vorwort-Interview zu dem Buch bei. „Ich unterstütze jede sachliche Debatte um und über Nachrichtendienste“, war Schindlers Antwort auf die Frage, warum er das Buch unterstützt. „Geheimdienste sind von Mythen überlagert und müssen Ballast abwerfen“.
Für den Autor Christopher Nehring stand im Mittelpunkt des Buches, sich einmal mit den Mythen auseinanderzusetzen, die ihm bei der täglichen Arbeit seit Jahren immer wieder begegnen. Ein Mythos, so gab er zu Beginn zu bedenken, muss dabei nicht immer zwangsläufig falsch sein. Viel eher haben Mythen das fehlende Wissen um Geheimdienste und Spionage „ersetzt“. James Bond und seine Freunde aus der Spionagefiktion überlagern die öffentliche Wahrnehmung und Erwartungshaltung.
Es sei schon verblüffend, wie sehr sich die Arbeit von Nachrichtendiensten von dem unterscheide, wie sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen und kommuniziert wird. Vieles davon sei so banal und bürokratisch, dass es nur durch den „Streng Geheim-Stempel“ interessant würde. Es gebe wohl kaum einen Bereich, der gleichzeitig so überschätzt und so unterschätzt sei wie Nachrichtendienste. Damit, so Nehring, sei Spionage prädestiniert für Mythen, die den Widerspruch zwischen Geheimnis und öffentlichen Wissen ausdrücken und in eine Bedeutung verwandeln. Ein Mythos sei also immer auch eine Form der Kommunikation und der Bedeutung.
Abseits davon bot die Diskussion und das Buch einige Unterhaltung. „Als Strandlektüre für den Otto-Normal-Verbraucher absolut zu empfehlen“, so Moderator Müller-Enbergs. Denn Nehring geht in dem Buch eben auch absurden und unterhaltsamen Mythen aus dem Reich der Geheimdienste nach. So zum Beispiel dem Einsatz von Hellsehern für die CIA, Tieren in der Spionage oder der ewigen Frage nach der „Hauptstadt der Spione“. Gleich ein ganzes Kapitel ist Mythen aus der Welt von James Bond gewidmet, bei dem vor allem die Querverbindungen und Beziehungen zwischen Realität und Fiktion verblüffen.
Gleichzeitig unterhaltsam zu sein und Mythen aus der Spionage- und Geheimdienstwelt inhaltlich anzugehen, das ist der Ansatz des Buches, so Nehring. Im Gespräch mit Gerhard Schindler zeigte sich dabei, wie zielführend dieses Unterfangen sein kann. Beispielhaft dafür war die Diskussion über die Bezeichnung von Geheimdienstmitarbeitern und Spionen. „Da schwebt so einiges in der Luft herum und es ist Zeit, einmal damit aufzuräumen und Klarheit herzustellen“, so der Autor.
Im englischen Sprachgebrauch sei ein Agent zum Beispiel der offizielle Geheimdienstmitarbeiter, der Beamte. In der Sowjetunion hingegen war „Agent“ eine Form der inoffiziellen Mitarbeit. Angeworbene Quellen nennen die einen „IM“ oder belegen sie mit abschätzigen Begriffen wie „Denunziant“ oder „Spitzel“. Beim Verfassungsschutz spricht man von „V-Leuten“, die heute ebenfalls in Verruf geraten sind. Der BND hingegen, so führte Schindler aus, spricht bei angeworbenen Quellen von „NDV – Nachrichtendienstlichen Verbindungen“. Mit dem Sprachwirrwarr hatte Schindler auch während seiner aktiven Zeit zu kämpfen und wollte für eine Vereinfachung sorgen.
Nicht alle Mythen konnten an diesem Abend enträtselt werden. „Aus den 77 hätten auch leicht 777 Mythen werden können“, schreibt Nehring in der Einleitung seines Buches. Dass er sich auf 77 beschränkt hat, trägt ungemein zur Lesbarkeit des Buches bei. In der Tat eine Empfehlung für alle Geheimdienst- und Spionageinteressierten!
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 17.06.2019