Letzte Woche ließ das Deutsche Spionagemuseum die Bombe platzen: die sogenannte Stadt „Bielefeld“ ist in Wahrheit eine Erfindung des DDR-Geheimdienstes aus den Zeiten des Kalten Krieges! Zwei von einander unabhängige Quellen belegen eindeutig, dass so etwas wie eine „Stadt Bielefeld“ nicht gibt und nie gegeben hat.
Wie immer, wenn es um Geheimdienste geht, ist der gemeine Bundesbürger sehr vorsichtig. Zahlreiche Anfragen, einige wütende Beschimpfungen und noch mehr handsignierte Unterwäsche erreichten uns daher in den letzten Tagen seit der sensationellen Enthüllung. Viele forderten forsch: zeigt uns auch die Dokumente, sonst glauben wir euch genauso sehr wie Donald Trump! Und wer so nett fragt, dessen Wunsch soll auch erfüllt werden. In zwei Teilen veröffentlichen wir daher die beiden Dokumente, die zur endgültigen Enthüllung des Mythos um die sogenannte Stadt „Bielefeld“ beigetragen haben.
2017 übergab ein anonymer Sammler dem Deutschen Spionagemuseum in Berlin mehrere Kartons. Neben verschiedener Original-Objekte, wie zum Beispiel eine F21-Spionage-Kamera, wie sie bereits in unserer Ausstellung zu sehen sind, befand sich darunter auch ein Karton mit der vielsagenden Aufschrift „Aktion Biele Feld“. In tagelanger Kleinarbeit haben wir den Inhalt akribisch gesichtet und fanden zwei Dokumente, die Licht ins Dunkel bringen:
Das Jahr war 1987, Deutschland war noch in West und Ost geteilt, Berlin war gerade irgendwie cool, aber eben noch voll underground, und DDR-Staatschef Erich Honecker besuchte trotzdem lieber die alte Hauptstadt Bonn. Doch unter der Oberfläche brodelte der Krieg der Geheimdienste zwischen Ost und West weiter vor sich hin. Der ehemalige US-Schauspieler Ronald Reagan mimte einen toughen Präsidenten und rüstete hoch.
Gleichzeitig wurden die westdeutschen Geheimdienste aktiv, nachdem mit Hansjoachim Tiegde der Referatsleiter DDR-Geheimdienste aus der bundesdeutschen Spionageabwehr in die DDR geflüchtet war. Der gefürchtete DDR-Geheimdienst des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS oder auch „Stasi“) bekam es mit der Angst zu tun.
Die „Arbeitsgruppe Sicherheit“ der ostdeutschen Auslandsspionage HV A („Hauptverwaltung A“) fürchtete, ihre sogenannten „operativen Basen“ in Westdeutschland könnten enttarnt werden. Am 9. November 1987 – genau zwei Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer (Zufall?) – legte deren Leiter Fritz Kobbelt dem Minister für Staatssicherheit Erich Mielke einen Plan vor. Dieser unterschrieb ihn persönlich mit der Anweisung „Sofort umsetzen!“.
Ausführlich beschrieben die DDR-Spione darin, wie sie seit den 1950er-Jahren eine operative Basis im Großraum Münster, zwischen Gütersloh und Herford unterhielten. Dazu nutzten die Ost-Agenten eine riesige, alte unterirdische Bunkeranlage aus dem Zweiten Weltkrieg. Zu dieser Zeit nutzte der DDR-Geheimdienst den Bunker für zwei Zwecke: Einerseits konnten hier Agenten auf der Flucht untertauchen und zur Ruhe kommen; andererseits lagerte die HV A hier Utensilien ein, die ihre Agenten im Westdeutschland der Nachkriegszeit gebrauchen konnten: vor allem Zigaretten und Nylonstrümpfe.
In den 1960er-Jahren – es war die Hochzeit der sogenannten „Romeo-Spione“ und „Venusfallen“ – ging es dann unter Gürtellinie: Die Bunkeranlage musste als geheimer Treffort für hochrangige Bonner Politiker und ihre Geliebte herhalten. Was diese nicht wussten: die Stasi filmte mit und hatte sogar eigene Agenten damit beauftragt, alle Vorkehrungen zu treffen. Diese Videos wurden dann zur Erpressung eingesetzt.
Auf größere Probleme bei der Tarnung der Bunkeranlage stießen die Ost-Spione dabei nicht. Wörtlich hieß es dazu:
„Aufgrund der verödeten Landschaft des Gebiets bedurfte das Bunkersystem kaum erwähnenswerter Sicherungsmaßnahmen, da sich nur eine äußerst geringe Anzahl von Leuten im niedrigen zweistelligen Bereich jemals in dieses Gebiet verirrten.“
Doch die Zeiten hatten sich in den 1980er-Jahren geändert. „Psychosen“ und „Paranoia“ sahen die Schlapphüte aus der Ostzone am Werk und schlugen eine „Kombination operativer und aktiver Maßnahmen“ vor. Übersetzt aus dem Geheimdienst-Kauderwelsch hieß das: mittels geheimer Agenten sollten Gerüchte und gefälschte Karten in Umlauf gebracht werden, dass dort, wo die geheime Basis des Ost-Geheimdienstes im Großraum Münster war, angeblich eine ganz Stadt existiere. Ihr Name: „Bielefeld“.
Besonders perfide und gleichzeitig genial einfach war der Plan, weil die Stadt so reizlos erscheinen sollte, dass niemand überhaupt je auf den Gedanken kommen würde, dorthin zu fahren:
„Unterstützt wird der farblose Name durch die Konzeption als mittelgroße Stadt, ohne herausragende Sehenswürdigkeiten, Denkmäler oder Ausgehmöglichkeiten, umgeben von Flachland und typischem Mischwald.“
Auch den Hauptverantwortlichen dafür, diese infame Lüge unter die Bundesbürger zu bringen, nennt das Dokument: den „IM“ (Inoffizieller Mitarbeiter) Achim Held. Wer sich hinter diesem Kürzel verbirgt, wollte die für die Stasi-Unterlagen heute zuständige Behörde „BStU“ ohne einen in siebenfacher Ausfertigung eingereichten Antrag auf Akteneinsicht nicht ohne eine Minimalwartezeit von 99 Jahren verraten. Eins war jedoch sicher: dieser „IM Achim Held“ wurde selbst von der Stasi als „Nerd“ bezeichnet.
Angestachelt von diesem hochspannenden Dokument – ein Glücksfund, von dem jeder Archivar, Kurator, Historiker oder Goldzugsucher träumt – machten wir uns auf die Suche nach Beteiligten der „Aktion Biele Feld“. Und tatsächlich wurden wir fündig! Im Interview bestätigte ein ehemaliger, beteiligter HV A-Mitarbeiter die Echtheit und den Inhalt des Dokumentes. Lesen Sie in Teil 2 unserer Serie, wie der westdeutsche Geheimdienst der „Aktion Biele Feld“ auf die Schliche kam.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 11.09.2019