Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. Autonome, selbstlernende Computer-Software und ihre Anwendungen verändern unser Leben und unsere Gesellschaft. Der deutsche Bundestag hat zum Thema „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale“ sogar eine eigene parlamentarische Enquete-Kommission einberufen.
Gravierende Auswirkungen, so wird oft prophezeit, hat künstliche Intelligenz auch im Bereich der Sicherheit und Nachrichtendienste. Das gilt sowohl für die Gegenwart als auch die Zukunft. Höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme: Wozu wird künstliche Intelligenz schon heute eingesetzt? Wie geht man in Deutschland mit diesem Thema um? Und was wird die nahe Zukunft bringen? Diesen Fragen gingen Experten am 17. September 2019 im Deutschen Spionagemuseum nach.
Die Diskussion war ein mehr als gelungener Auftakt zu einer neuen Veranstaltungsreihe, die das Spionagemuseum in Kooperation mit dem Bundestagsabgeordneten und Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste (PKGr) Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU) ins Leben gerufen hat. Diese trägt den Titel „Die Zukunft der Spionage“ und widmet sich in sechs gemeinsam organisierten Podiumsdiskussionen zukunftsträchtigen Themen rund um das Thema Nachrichtendienste und Spionage.
In dieser fulminanten Auftaktveranstaltung übernahm Co-Organisator Prof. Dr. Patrick Sensburg auch die Moderation und führte souverän durch den Abend. Das Podium war hochkarätig besetzt: Katrin Rohmann, Partner, Strategic Risk & Public Sector Lead beim Consulting-Riesen Deloitte in Berlin, brachte sowohl ihre Expertise aus dem gemeinsam mit dem Allenbach-Umfrage-Institut erstellten „Cyber Security Report“ ein, sowie ihre Expertenerfahrung zum Thema automatisierter Desinformation und Fake News. Andreas Könen, Leiter des Bereichs IT- und Cybersicherheit im Innenministerium, verfügt über langjährige Erfahrung aus Leitungsfunktionen im Auslandsnachrichtendienst BND und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).
Matthias Wachter, Abteilungsleiter Sicherheit und Rohstoffe im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), trug vor allem mit wertvollen Einschätzungen aus Sicht der deutschen Wirtschaft zu einer Bestandsaufnahme des Status Quo in Sachen künstlicher Intelligenz bei. Dabei trat Wachter ein ums andere Mal auf die Bremse, wenn es darum ging, wie weit die deutsche Industrie bei der Entwicklung und Anwendung von KI bereits ist. Last but not least wagte insbesondere der Informatiker und Journalist Peter Welchering immer wieder den Blick über den deutschen Tellerrand hinaus auf globale Entwicklungen und Möglichkeiten zur Anwendung von künstlicher Intelligenz im Sicherheitsbereich.
Eine Herausforderung, so waren sich vor allem Andreas Könen und Peter Welchering einig, ist schon die Definition dessen, was unter künstlicher Intelligenz eigentlich alles zu verstehen ist. Als Teilgebiet der Informatik beschäftigt sich KI mit maschinellem Lernen und der Automatisierung „intelligenten Verhaltens“. Daneben gibt es jedoch weitere Unterscheidungen und zahlreiche Unterkategorien. Die Nachahmung, Übernahme und Automatisierung vormals menschlichen Verhaltens stehen dabei jedoch stets im Mittelpunkt.
Es liegt auf der Hand, dass Nachrichtendienste und andere Sicherheitsbehörden mit derlei technischer Unterstützung einiges anfangen können. Einstimmig identifizierten die Experten verschiedene Bereiche, in den KI zur Anwendung kommt oder kommen wird. Auf Frage des Moderators identifizierte jeder Gast einen Bereich, der seiner Meinung nach besonders von KI-Technologien betroffen sein könnte: Bei der automatisierten Informationsauswertung und Analyse, autonomen Waffensystemen, automatisierten Fake News/Desinformationsprogrammen sowie automatisierter Software für Cyberattacken.
Dabei, so betonte vor allem Matthias Wachter, herrsche jedoch eine öffentliche Fehlwahrnehmung vor, wenn man davon ausgehe, dass die Hersteller bereits in der Lage seien, Vorhersageprogramme oder autonome „Killerroboter“, wie sie in Filmen und Büchern auftreten, herzustellen. Journalist Peter Welchering wollte das so nicht stehen lassen und verwies zum Beispiel auf die UN-Konferenz zu autonomen Waffensystemen, die als state-of-the-art durchaus von Robotern und Waffensystemen spricht, die rein technisch in der Lage seien, ohne menschliche Steuerung oder Befehl Gewalt auszuüben.
Auch gibt es bereits Test-Programme im nachrichtendienstlichen Einsatz, die anhand eingespeister Informationen automatisierte Prognosen über zukünftige Entwicklungen in Krisengebieten abgeben. Hier führte Welchering beispielsweise den Fall eines Gebietskonfliktes zwischen Japan und China im Südchinesischen Meer an, in dem die Software richtige Prognosen abgab. An ähnlichen Programmen arbeiten Nachrichtendienste weltweit, in Deutschland neben BND auch die Bundeswehr.
Andreas Könen war es dann zu verdanken, dass die Anwendung von KI durch Nachrichten- und Sicherheitsdienste in zwei Richtungen diskutiert wurde. Denn alle KI-Anwendungen haben nicht nur eine offensive, sondern eben auch defensive Möglichkeiten und Nutzen. So können nach Katrin Rohmann automatisierte Programme nicht nur zur Erstellung und Verbreitung von Desinformation eingesetzt werden, sondern eben auch zur Aufdeckung und Abwehr. Ähnliches, so Andreas Könen, gilt auch für automatisierte Spionage-Programme, die ebenfalls durch automatisierte Programme erkannt und abgewehrt werden können.
Zuletzt kam das Podium auf Initiative von Patrick Sensburg auch auf die in der deutschen Öffentlichkeit besonders leidenschaftlich diskutierten moralisch-ethischen Komponenten von künstlicher Intelligenz im Sicherheitsbereich zu sprechen. Wie vor allem Peter Welchering und Matthias Wachter einwarfen, gelten hier international sehr unterschiedliche Standards.
Ein gemeinsamer Wertekatalog wurde in den Vereinten Nationen bislang vor allem durch die KI-Großmächte USA, Russland, China und Israel blockiert. Beide unterstützen die rechtzeitige Etablierung eigener rechtlicher Standards und Beschränkungen zumindest auf nationalem Niveau in Deutschland zu setzen. Dies gilt im Bereich automatisierter Gesichtserkennung bei Videoüberwachung genauso wie bei automatisierten Waffensystemen.
Nicht alle Fragen konnten im Zuge dieser Diskussion geklärt oder gar gelöst werden. Nichtsdestoweniger war es ein mehr als gelungener Auftakt zur „Zukunft der Spionage“ mit einer umfangreichen Bestandsaufnahme. Im Januar 2020 folgt dann die nächste Veranstaltung dieser Reihe mit dem Thema: „Die Renaissance gezielter Tötungen durch Geheimdienste“.
Die nächste Veranstaltung im Deutsche Spionagemuseum beschäftigt sich mit der DDR-Spionage gegen westdeutsche Politiker im Kalten Krieg. Am 26. September stellt Autor Heribert Schwan sein Buch „Spione im Zentrum der Macht“ vor.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 25.09.2019