Zum dritten Mal in der deutschen Geschichte tagte am 29. September 2019 das Parlamentarische Kontrollgremium für die Nachrichtendienste des Bundestages in öffentlicher Sitzung. In mittlerweile guter Tradition standen die drei Chefs der deutschen Nachrichtendienste – Bundesamt für den militärischen Nachrichtendienst BMAD, Bundesamt für Verfassungsschutz BfV und der Bundesnachrichtendienst BND – den Abgeordneten in drei Fragerunden Rede und Antwort.
Diese öffentliche Sitzung, die einmal jährlich stattfindet, war eine der Neuerungen im Zuge der großen Geheimdienstreformen, die als Reaktion auf die Enthüllungen von Edward Snowden, NSA- und NSU-Affäre umgesetzt wurden. Allgegenwärtig dabei die Augen der Öffentlichkeit, also die Vertreter der Presse sowie die anwesenden Besucher auf der Tribüne im Paul-Löbe-Haus und die Kameras des Parlamentsfernsehens. Shake-hands zu Beginn, ein Posieren der drei Spionage-Chefs für die Medienvertreter und in einer Schlange aufgereihte Abgeordnete vor den Kameras zeugen dabei von einer maximalen Inszenierung aller Beteiligten.
Licht und Schatten einer öffentlichen Kontrolle der geheimen Nachrichtendienste werden dabei schnell sichtbar. Wer genaue Angaben, Zahlen, Details zu Quellen oder Methoden der Dienste erwartet, wird enttäuscht werden. Denn hierauf geben alle Dienste nur in geheimer Sitzung Antwort. Auch die Fragen der Abgeordneten beziehen sich daher auf Sachverhalte, die vor allem der breiten Öffentlichkeit verdeutlicht werden wollen. Nachrichtendienste und Abgeordnete gleichermaßen wägen jedes Wort, das hier an die Ohren der Öffentlichkeit dringt, sorgfältig ab.
Das alles beherrschende Thema der dreistündigen Sitzung war – angesichts des Terroranschlags in Halle wenig überraschend – der Rechtsextremismus in Deutschland. Zu diesem Thema gab es in der Sitzung kaum Neues zu berichten. Verfassungsschutz und BMAD sind dabei ihre Kapazitäten in diesem „Phänomenbereich“ drastisch zu erhöhen, sowohl in der analogen als auch der digitalen Welt. Doch sowohl die Aufstockung des Personals als auch die Einrichtung eines Hinweistelefons oder den vermehrten Blick auf rechte Strukturen im öffentlichen Dienst und der Bundeswehr waren bereits ausführlich zuvor in der Presse diskutiert worden.
BND-Präsident Dr. Bruno Kahl berichtete, dass nun auch ein interner Beauftragter für Rechtsextremismus eingerichtet wurde. BMAD-Chef Dr. Christof Gramm sprach hingegen von einer seit Jahren konstanten Anzahl an Verdachtsfällen in der Bundeswehr von ca. 20 pro Jahr. Er wies aber auf die besonderen Probleme bei Personen hin, die es offenbar an Verfassungstreue und demokratischen Grundsätzen fehle, die aber die Schwelle zum Extremismus nicht überschreiten. Die Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (Grüne) und Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU) hakten dann in Bezug auf den Begriff „rechte Netzwerke“, „Kennverhältnisse“ und „Mobilisierungssynergien“ nach und wiesen auf die Schwierigkeit hin, persönliche Verbindungen zwischen Extremisten zu kategorisieren.
Die Frage nach Cyberbedrohungen durch Spionage und Sabotage wurde ebenfalls ausführlich diskutiert. Tausende Cyberangriffe auf das Regierungsnetz werden pro Jahr verzeichnet. Zur Abwehr dieser Angriffe, so forderten alle drei Präsidenten unisono, müssten den Nachrichtendienste effektive Mittel an die Hand gegeben werden. Diese beinhalte auch eine aktive Cyberabwehr im Ausland. BND-Chef Kahl wünschte sich dabei dieselben Mittel, wie sie ihm auch in der analogen Welt zur Verfügung stehen.
In der Diskussion wies wiederum der Abgeordnete von Notz darauf hin, dass zu dieser Art der Cyberabwehr wohl eine Grundgesetzänderung mit 2/3-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat notwendig seien. Diese sind – gelinde gesagt – schwierig zu erreichen. Eine modernere Cyber-Sicherheitsarbeit in Deutschland muss sich also zunächst einmal mit politischen Konstellationen arrangieren.
Thomas Haldenwang, Präsident des BfV, hat zudem sogenannte „forensische Systemkopien“ für seine Cybereinheiten auf dem Wunschzettel. Diese sollen Kopien fremder Serverinhalte möglich machen, um Angriffe und Angreifer besser untersuchen zu können. BMAD-Chef Gramm verwies darauf, dass Cyberangriffe nicht nur rein virtuell ablaufen, sondern, im Falle der Bundeswehr, besonders häufig durch menschliche Innentäter, die Schadsoftware einschleusen, unterstützt werden.
BfV-Präsident Thomas Haldenwang sprach fernerhin auch von „virtuellen Agenten“, also Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, die das Netz gerade im Bereich des Rechts-, Links- und islamistischen Terrorismus durchforsten und Informationen über Netzwerke und Personen gewinnen. Der Mensch ist also auch in der digitalen Spionage keineswegs obsolet!
Im Bereich der künstlichen Intelligenz sprachen sowohl Haldenwang als auch Kahl von verschiedenen Einsatz- und Entwicklungszielen. KI und selbstlernende Programme seien dabei vor allem in der Auswertung der digitalen Informationsflut nützlich. Darüber hinaus auch in den Bereichen der automatischen Spracherkennung und den Prognosekapazitäten. Dazu diskutierten namhafte Experten bereits im September dieses Jahres im Deutschen Spionagemuseum – mit ähnlichem Ergebnis.
Ebenfalls im Rahme der digitalen Agenda standen die Fragen der Abgeordneten zum Ausbau des 5G-Netzes und einer möglichen Beteiligung des chinesischen Anbieters Huawei. Hierbei wurde vor allem BND-Präsident Kahl deutlich: Wo sensible deutsche „Kerninteressen“ und „die kritische Infrastruktur der Zukunft“ berührt seien, dürfe kein Akteur beteiligt werden, dem man nicht voll vertrauen kann. Dies sei bei Huawei und dessen Nähe zum kommunistischen Regime Chinas nicht gegeben.
Die Spionageabwehr ist in Deutschland fast schon traditionell ein ungeliebtes Kind, vor allem der Politik. Hier lässt sich wenig politisches Kapitel schlagen, dafür viele Feinde und diplomatische Vorfälle. Dementsprechend knapp werden die Ressourcen in diesem Arbeitsbereich verteilt. Der BND zum Beispiel soll laut SPIEGEL-Informationen gerade einmal 50 Mann zur Bearbeitung der Geheimdienste Russlands, Chinas, Irans oder Nordkoreas haben.
BfV-Präsident Haldenwang wies jedoch darauf hin, dass das Ausmaß von Spionage in und gegen Deutschland so hoch sei wie im Kalten Krieg, „vielleicht sogar noch mehr“. Dabei seien heute noch vielfältigere Akteure und auch wieder sehr „robuste“ Methoden – gemeint sind Entführungen oder Auftragsmorde – festzustellen. Haldenwang warnte jedoch auf Nachfrage ausdrücklich davor, den Mord an einem georgischen Tschetschenen im Berliner Kleinen Tiergarten (vorschnell) einem staatlichen Akteur, gemeint sind die russischen Geheimdienste, zuzuordnen. Zwar existieren Hinweise in diese Richtung, allerdings gäbe es „eine Vielzahl von Interessenten und keine Klarheiten“. Wegen der politischen Sprengkraft mahnte er hier zur Zurückhaltung.
Auf Nachfrage der Abgeordneten Armin Schuster und Patrick Sensburg (beide CDU) berichtete Haldenwang auch über die „360 Grad-Spionageabwehr“. Diese soll sich auch auf andere als die üblichen Verdächtigen, vor allem also Russland, China, Iran und Nordkorea, richten. Etwas verklausuliert wird damit die Abwehr eventueller Spionageversuche von Verbündeten wie den US- oder britischen Geheimdiensten gemeint. Hierzu gab es jedoch nichts Neues zu berichten.
Wie auch jedem Verfassungsschutzbericht zu entnehmen, werde das zuständige Referat nur „nach konkreten Hinweisen“ aktiv und müsse zudem mit geringen Ressourcen arbeiten, da Terrorismus und Extremismus Priorität haben. Unter dem Strich stehen hier – auch nach den Enthüllungen Edward Snowdens und des NSA-Untersuchungsausschusses – keine substanziellen Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten.
Bereits einleitend machte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums Armin Schuster (CDU) darauf aufmerksam, dass der öffentliche Jahresbericht des PKGr bald als Drucksache des Bundestags erscheine. Die Präsidenten der Nachrichtendienste hingegen warben um Vertrauen und gesellschaftliche Akzeptanz. Die öffentliche Inszenierung der Nachrichtendienstkontrolle war unverkennbar. Und das Deutsche Spionagemuseum bleibt allen Themen rund um die deutschen Nachrichtendienste weiter auf der Spur!
Bilder
Titelbild Paul Löbe-Haus: Manfred Brueckels [Public Domain]
Symbolfoto Demonstration Nationalsozialisten: Rufus46 [CC BY-SA 3.0]
Symbolfoto Computertechnik: jarmoluk [Public Domain]
Coverbild Verfassunschutzbericht: BfV
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 30.10.2019