Rückblick: Podiumsdiskussion „Das geheime Wien. Spionagenest an der Donau“

Wien oder Berlin, Preußen oder Österreich-Ungarn, Hohenzollern oder Habsburger, Schnitzel oder Currywurst? Das ist nicht nur eine Stilfrage, sondern auch die Frage nach dem Spionage-Hotspot im deutschsprachigen Raum. Wien ist schicker, Berlin ist dicker – auch in der Spionage! Ein Grund mehr für das Deutsche Spionagemuseum, der geheimen Geschichte Wiens nachzugehen. Dazu führten am 10. Dezember 2019 die zwei der renommiertesten Geheimdienstexperten Österreichs durch die Wiener Spionagegeschichte von der Zweiten Österreichischen Republik bis in die Gegenwart. Moderiert wurde die Diskussion fachkundig und gelassen von dem Journalisten Michael Riedmüller.

Berlin und Wien: Zahlreiche Parallelen

Am Anfang stand die Erkenntnis, dass sich Wien und Berlin in Spionagedingen in vielerlei Hinsicht sehr ähneln. Beide Städte waren nach dem Zweiten Weltkrieg geteilt in vier alliierte Sektoren. In beiden trafen die feindlichen Blöcke des Kalten Krieges direkt aufeinander. Informanten trugen Nachrichten durch die ganze Stadt von Geheimdienst zu Geheimdienst, der Markt der Nachrichtenhändler florierte ebenso wie der Schwarzmarkt.

Der britische Geheimdienst kam in dieser Gemengelage auf eine Idee, die sie erst in Wien testen und dann nach Berlin verpflanzen sollten: den Spionagetunnel. In Wien bauten britische und amerikanische Geheimdienstexperten bereits 1949 einen 21 Meter langen Spionagetunnel, um die Telefonleitungen des Hauptquartiers des sowjetischen Hochkommissars anzuzapfen („Operation Silber“). Bis 1952 war dieser Tunnel intakt und lieferte zum Beispiel während des Korea-Krieges 1950 wichtige Informationen. Dann stürzte er durch die ständigen Erschütterungen der Wiener Straßenbahn ein. Doch die britischen und amerikanischen Agenten waren auf den Geschmack gekommen: fortan entwickelten dieselben Experten den fast 600 Meter langen Berliner Spionagetunnel („Operation Gold“).

Auch im filmischen Bereich konkurrierte Wien mit Berlin was das Image in der dunklen Schattenwelt anging. Was im Berlin der 1960er-Jahre der „Spion der aus der Kälte kam“ werden sollte, war in Wien „Der dritte Mann“. 1949 kam die Verfilmung von Graham Greens Romanvorlage mit Orson Wells als Hauptdarsteller in die Kinos. Wie Thomas Riegler jüngst zum 70. Jubiläum des Filmklassikers ausführlich recherchierte, gab es auch hier zahlreiche Querverbindungen und Einflüsse zwischen Spionagefiktion und Spionagerealität.

Wiener Laissez-faire in der Spionage

Anders als Berlin änderte sich jedoch in Wien und Österreich in den 1950er-Jahren die politische Großwetterlage. Österreich erklärte sich in der internationalen Systemkonfrontation als „neutral“, dafür zogen die Alliierten (inklusive der Sowjetunion) ihre Truppen ab. Aber die Geheimdienste blieben, Wien wurde fortan eine Spielwiese für alle Geheimdienste aus West und Ost. Dabei konnten sie fast nach Belieben schalten und walten, denn die kleine Alpenrepublik hatte weder die Ressourcen noch die Absicht, ihrem Treiben Einhalt zu gebieten. Also setzte der österreichische Staat auf eine Art „Gentlemen’s Agreement“, das ein früherer österreichischer Bundesrichter so umschrieb: „Kommt’s alle her, nur umbringen dürft’s euch net“.

Diese Maxime befolgte offenbar auch ein besonders prominenter Spion: der ehemalige Minister (1983/84) und Wiener Bürgermeister (1984-1994) Helmut Zilk soll so bereits während seiner Zeit beim österreichischen Rundfunk ORF in den 1960er-Jahren Kontakt zum benachbarten Tschechoslowakischen Geheimdienst StB unterhalten haben. Für über 70.000 Schilling soll er mehrfach Informationen nach Prag verkauft haben. Bis heute konnte nicht geklärt werden, ob Zilk dabei sogar als Doppelagent für die österreichische Staatspolizei (Stapo) oder die CIA agierte.

Spionage, so legte der österreichische Staat – bis auf den heutigen Tag übrigens – fest, war nur dann illegal, wenn sie sich gegen Österreich selbst richtete. Wenn sich aber KGB und CIA mit ihren Agenten trafen, das Ministerium für Staatssicherheit der DDR eifrig Tarnfirmen gründete und West-Technologie unter dem Embargo über Österreich in den Osten schmuggelte, dann drückten die österreichischen Behörden beide Augen zu. Wiener Laissez-faire eben auch in der Spionage.

Das galt auch dann, als sich aufgrund der österreichischen Neutralität immer mehr internationale Organisationen, wie zum Beispiel die Internationale Atomenergiebehörde, in Wien ansiedelten. Teilweise, so gab Thomas Riegler anekdotisch zum Besten, ufern Abhörversuche bei wichtigen Sitzungen derart aus, dass der Handyempfang komplett ausfällt und ein US-Außenminister mit seinem gesamten Tross nahegelegene Wiener Parks zum Telefonieren nutzte.

Agentenaustausch auf dem Wiener Flughafen

2010 dann inszenierten Russland und die USA den größten Agentenaustausch seit dem Kalten Krieg auf dem Wiener Flughafen. Zehn russische Spione aus US-Gefängnissen, darunter die bekannte Anna Chapman, wurden auf dem Rollfeld gegen vier in Russland verhaftete West-Agenten ausgetauscht, darunter auch Sergej Skripal, der 2018 in England mit Nowitschok vergiftet wurde. „Der Austausch war eine Hommage der Russen und Amerikaner an Wien“, waren sich Prof. Siegfried Beer und Thomas Riegler einig.

Und wie sieht es bei den heimischen österreichischen Geheimdiensten aus? Ein düsteres Bild malte vor allem der Vater der österreichischen Geheimdienstforschung Prof. Siegfried Beer, Gründer des Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies in Graz. Klein waren die österreichischen Dienste schon immer, rekrutierten sich zumeist aus Polizei und dem Bundesheer. In der Politik würde sich jedoch kaum jemand für sie interessieren, nicht einmal den Bundeskanzler. Fehlendes Interesse und mangelnde Steuerung machte auch Thomas Riegler für die immer wiederkehrenden Skandale der österreichischen Nachrichtendienste verantwortlich.

Die sog. „BVT-Affäre“, während der Riegler als Mitarbeiter des parlamentarischen Untersuchungsausschusses fungierte, sei dafür ein Sinnbild: Der Inlandsnachrichtendienst „Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung BVT“ wurde 2018 – illegaler Weise, wie sich herausstellte – im Auftrag der Staatsanwaltschaft wegen Amtsmissbrauch und Korruption durchsucht, dabei verschwanden rund 20 Gigabyte an Daten. Hintergrund der Affären waren vermutlich parteipolitische Auseinandersetzungen, die zu einem desolaten Image von BVT, Polizei und Staatsanwaltschaft führten.

Auch danach jedoch hielten die österreichische Bundesregierung, Polizei und das BVT an ihrer absoluten Geheimhaltung in Geheimdienstfragen fest. Keine Geschichtsprojekte, keine Aktenfreigabe, keine Ausstellungen zum Thema Spionage in Österreich. Ausgerechnet hier hat das österreichische Laissez-faire ein Ende.


Die nächste Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum am 14. Januar 2020 befasst sich mit einem aktuellen Thema: Gezielten Tötungen durch Geheimdienste. Dazu diskutieren ein Ex-Präsident des BND mit Experten aus Politik und Medien.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 19.12.2019