Rückblick: Die Kinder der Agenten. Wenn die Eltern spionieren

Wenn Spione auffliegen, haben sie zwei Möglichkeiten: Abhauen oder einigen Jahren im Gefängnis entgegensehen. So oder so leiden nicht nur die Spione selbst, sondern auch ihre Familien unter den Folgen.

Für einige Kinder markiert der Tag, an dem die Spionage ihrer Eltern aufflog, den entscheidenden Bruch in ihrem Leben. Zerrissene Familien, Außenseitertum, soziale Ächtung und Vertrauensverlust waren Folgen und Symptome zugleich. Verarbeitet haben es die „Agentenkinder“ durch Literatur und das Erzählen ihrer Geschichte.

Einsame Tochter eines HV A -Agenten

Das Deutsche Spionagemuseum brachte vier Agentenkinder auf die Bühne und fragte, was die Spionage der Eltern mit ihnen machte: Dr. Nicole Glocke war zehn Jahre alt als ihr Vater als Agent des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) enttarnt wurde. Seit Jahren hatte er für die DDR-Auslandsspionage HV A Informationen weitergegeben. Als der HV A-Offizier Werner Stiller im Januar 1979 in den Westen überlief, verriet er Dutzende Agenten. Darunter auch Glockes Vater Karl-Heinz.

Der Vater wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die Mutter und Kinder blieben alleine zurück. Glocke wuchs in den familiären Trümmern des Kalten Krieges auf und schrieb später ein Buch mit Edina Stiller, der Tochter jenes DDR-Agenten, der Glockes Vater verraten hatte. Die ganze Geschichte gibt es hier: Nicole Glocke / Edina Stiller: Verratene Kinder. Zwei Lebensgeschichten aus dem geteilten Deutschland.

Vom Vater in die DDR entführt

Thomas Raufeisen verbindet ein ähnliches Schicksal mit Nicole Glocke: auch sein Vater spionierte für die DDR, auch sein Vater wurden von Werner Stiller verraten. Über 20 Jahre, zwischen 1957 und 1979 spionierte Armin Raufeisen für die DDR. Im Januar 1979 floh auch er blitzartig über die deutsch-deutsche Grenze.

Dabei nahm Armin Raufeisen seine Frau und Kinder mit – allerdings ohne ihnen zu erzählen, dass sie nicht mehr zurückkehren konnten. Vom eigenen Vater entführt in die DDR, nannte es Thomas Raufeisen. Für die Familie bedeutete das den Untergang.

Der andere Sohn Michael Raufeisen verweigerte die DDR-Staatsbürgerschaft und reiste schon früh zurück in die Bundesrepublik. Thomas und seine Mutter blieben, gerieten jedoch immer wieder in Konflikt mit dem sozialistischen Regime. Wegen Fluchtversuchs wurden die Raufeisens verhaftet und mussten Haftstrafen in im MfS-Gefängnis Bautzen II verbüßen.

Erst 1984 konnte auch Thomas Raufeisen zurück nach Hannover. Die Spionage seines Vaters war das prägende Element seines „ersten Lebens“. Verarbeitet hat auch er sein Schicksal in einem Buch: „Ich wurde in die DDR entführt. Von meinem Vater. Er war Spion.

BND-Agentenkinderschicksal

Das Schicksal der Familie Brauns verlief hingegen umgekehrt: Großvater Erich Brauns wurde 1965 in der DDR verhaftet – wegen Spionage für den westdeutschen Auslandsnachrichtendienst BND. Erst Jahre später wurde er in die Bundesrepublik ausgetauscht. Sein Sohn Rainer aber blieb in der DDR und lebte als überwachter Außenseiter ein besonderes Leben.

Verarbeitet hat dieses Spionagedrama erst die nächste Generation. Rainers Sohn Dirk Brauns, ehemaliger Journalist bei der Berliner Zeitung, veröffentlichte 2019 den Roman „Die Unscheinbaren“, den er im Deutschen Spionagemuseum vorstellte. In einem ausführlichen Artikel beschreibt DER SPIEGEL die ganze, reale Spionage-Geschichte der Familie Brauns.

Persönliche Dramen der Agentenkinder

Einschneidende Erlebnisse hatten alle Agentenkinder zu berichten – die sie alle zu interessanten Büchern verarbeitet haben. Keiner der Familienmitglieder könnte ein Engagement für einen Geheimdienst empfehlen.

Nur Dirk Brauns merkte an, dass das Schicksal seines Vaters und Großvaters vielleicht auch dafür gesorgt, dass Dirk und Vater Rainer ein viel engeres und vertrauensvolleres Verhältnis entwickelten als viele seiner Bekannten. Eine hochemotionale und persönliche Reise in die Gefühlswelt von Agenten und ihren Familien!

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 16.03.2020