Für interessierte Bürger bietet der jährlich erscheinende Verfassungsschutzbericht Einblicke in die verfassungsfeindlichen, insbesondere rechts- und linksextremistischen Tendenzen in Deutschland. Als Herausgeber des Berichts fungiert das Bundesministerium des Inneren, erstellt wird er vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Allerdings obliegt auch die Endredaktion stets dem Bundesministerium des Inneren.
Heute stellten Bundesinnenminister Horst Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2019 vor. Die Zahl der extremistischen Straftaten sowohl aus dem rechten wie auch aus dem linken Lager haben dem Bericht zufolge stark zugenommen und geben Anlass zur Sorge.
Wie auch schon im Vorjahr steigt die Zahl an rechtsextremistischen Straftaten weiter an. Die 22.300 dokumentierten Taten Fälle ergeben eine Steigerung von etwa 10 %. Auch wenn dabei die Zahl an Gewalttaten leicht rückgängig ist, wächst die Zahl der potenziell gewaltbereiten Rechtsextremisten. Der Verfassungsschutzbericht schätzt diese Gruppe auf von 13.000 Personen, 300 mehr als im Vorjahresbericht.
Insgesamt belaufe sich die rechtsextreme Szene auf etwa 32.080 Personen – eine Steigerung um 8.000. Als Schwerpunkte rechtsextremistischer Agitation nennt der Bericht Antisemitismus, Fremden- und Islamfeindlichkeit. Seehofer mahnte im Angesicht dieser Entwicklung zu erhöhter Wachsamkeit und sprach von einer „Schande für unser Land“.
Die Steigerung der rechtsextremen Szene ist dem Bericht nach auch auf Teile der Partei AfD zurückzuführen. Deren Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als auch der offiziell mittlerweile aufgelöste Zusammenschluss „Der Flügel“ wurden vom Verfassungsschutz aufgrund extremistischer Tendenzen beobachtet. Letztere und auch die Identitäre Bewegung bezeichnete BfV-Präsident Haldenweg als „Superspreader von Hass und Gewalt“.
Als problematisch gelten vor allem die aggressiv fremdenfeindliche Haltung sowie eine Einstellung zum Nationalsozialismus, der dessen Gewaltverbrechen stark relativiere. Ein Problemfall bleibt auch die Bundeswehr: In Zusammenarbeit mit dem MAD habe der BfV eine dreistellige Zahl von überprüften Reservisten aufgrund extremistischer Tendenzen von der Teilnahme an weiteren Übungen ausgeschlossen.
Deutlicher noch als im rechtsextremistischen Sektor fällt die Steigerung auf dem Gebiet des Linksextremismus aus: Dieser ist mit 6.400 dokumentierten Fällen zwar weniger präsent als bei den rechtextremistischen Taten, allerdings bedeutet dies im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von rund 40 % und weist damit eine eindeutige Tendenz auf.
Die Zahl der Linksextremisten erhöhte sich von 32.000 auf 33.500. Ein Schwerpunkt der linksextremistischen Szene bildet laut BfV-Präsident Haldenwang vor allem Leipzig. Das Internet-Netzwerk „Indymedia“ stuft der Verfassungsschutz als Verdachtsfall für linksextremistische Tendenzen ein. 2017 war bereits die Vorgänger-Plattform „Linksunten.Indymedia“ verboten worden.
Trotz der Tatsache, dass es in Deutschland 2019 keinen islamistischen Anschlag gab, schätzt der Verfassungsschutzbericht auch hier die Bedrohungslage weiterhin als hoch ein. Das zeige sich unter anderem durch das Verbot der Terrororganisation Hisbollah. Insgesamt schätze man die Zahl an „Gefährdern“ in Deutschland auf etwa 650.
Auch die Arbeit der Geheimdienste anderer Länder fließt in den Bericht mit ein: Die Zahl an Cyberangriffen und Desinformationskampagnen habe zugenommen. Der Bericht beschreibt die Bedrohungslage diesbezüglich kann als „dynamisch und komplex“. Vor allem die Dienste aus Russland und China, aber auch des Iran und der Türkei seien nach wie vor äußerst aktiv.
Schwerpunkte bilden die politische sowie die Wirtschaftsspionage. Der Diebstahl von Know-how führe zu betriebs- und volkswirtschaftlichen Schäden. Zudem seien demokratische Willensbildungsprozesse durch Desinformationskampagnen gefährdet.
Vor allem die Abwehr von Cyberangriffen sieht das BfV als Schwerpunkt seiner zukünftigen Arbeit an. Zur Intensivierung der Zusammenarbeit der Behörden diene das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (Cyber-AZ), an dem auch das BfV maßgeblich beteiligt ist.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 09.07.2020