Rückblick: Verschwörungstheorien – Gefahr für die Demokratie?

Gerade in der gegenwärtigen Krise scheint es so, als ob Verschwörungserzählungen Hochkonjunktur haben: Bill Gates, 5G, Angela Merkel – eine Vielzahl an Gerüchten über Verschwörungen kursieren weltweit. Doch Verschwörungserzählungen sind kein neues, sondern ein sehr altes Phänomen.

Wie entstehen diese Mythen? Warum glauben Menschen an sie? Wie groß ist die Gefahr, die von solchen Erzählungen für Gesellschaft und Politik ausgeht? Was kann man tun, sobald man feststellt, dass Personen aus dem Bekanntenkreis ebenfalls anfangen, solche Erzählungen zu verbreiten? Über diese Themen diskutierten Experten am 10. September 2020 im Deutschen Spionagemuseum.

Klare Feindbilder als vermeintliche Orientierung in Krisenzeiten

Um das Thema möglichst facettenreich zu beleuchten, deckten die Experten unterschiedlichste Fachbereiche ab: Die Netzaktivistin und Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun beschrieb in „Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ die psychologischen Zusammenhänge zu Verschwörungserzählungen.

Der Physiker Holm Gero Hümmler untersuchte in seinem Buch „Verschwörungsmythen. Wie wir mit verdrehten Fakten für dumm verkauft werden“ Verschwörungserzählungen mit naturwissenschaftlichen und technischen Methoden.

Der Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg (CDU) gab Einblicke in die Gefahr, die derartige Erzählungen für die Demokratie darstellen können. Geleitet wurde die Diskussion von Florian Schimikowski, Historiker am Deutschen Spionagemuseum.

Die Tatsache, dass die internationale Corona-Krise zu einer Schwemme an neuen Verschwörungserzählungen geführt hat, konnte keinen der Experten verwundern. Schon früh sprach die Fachwelt von einer regelrechten „Infodemie“, die mit der Pandemie einher gehe.

Das Muster, nach dem in solchen Situationen Verschwörungserzählungen entstünden, sei im Grunde immer das gleiche, wie Nocun ausführte: Eine mächtige Person oder Gruppe beeinflusst im Geheimen wichtige Ereignisse zum Schaden der Bevölkerung.

Gerade in Zeiten, die für viele Menschen mit großen Verunsicherungen einhergehen, verspricht ein derart konstruiertes eindeutiges Feindbild vermeintliche Orientierung und findet rasch Anhänger.

Internet-Plattformen als Radikalisierungsbeschleuniger

Neue Ausmaße nimmt im digitalen Zeitalter die Schnelligkeit und das Ausmaß der Verbreitung solcher Verschwörungserzählungen an. Durch das Internet sind diese zu einem Massenphänomen geworden.

Bei den eigenen Rechercheerfahrungen auf Online-Plattformen wie Facebook oder YouTube haben sowohl Nocun als auch Hümmler erlebt, wie sich Nutzer nach nur wenigen Klicks in einer Informationsblase wiederfinden. In einer solchen Blase werden auch die abstrusesten Verschwörungserzählungen bald zur gefühlten Realität.

Holm Gero Hümmler und Katharina Nocun

Der Grund liegt vor allem darin, dass es sich um werbebasierte Geschäftsmodelle handelt. Deren  Ziel sei es, den Nutzer möglichst lange auf der Plattform halten. Um das zu erreichen, steigert sich die Extremität der Inhalte mit zunehmender  Nutzungsdauer, wie Nocun erläutert. Die Betreiber der Plattformen haben nach scharfer Kritik versucht, mit Warnhinweisen oder Verlinkungen zu Wikipedia den Inhalten der Videos entgegenzuwirken.

Insgesamt seien die Bemühungen laut Nocun aber bisher wenig überzeugend: Sachliche Hinweise und nüchterne Wikipedia-Artikel hätten nur geringe Chancen gegen die dynamisch produzierten Videos der Verschwörungserzählungen.

Verschwörungserzählungen als Gefahr für die Demokratie

Leider bleibt die Auseinandersetzung mit Verschwörungserzählungen oft nicht nur virtuell, sondern inspiriert unter anderem auch Gewalttäter. Die daraus folgenden Aktionen richten sich nicht nur gegen Objekte, bespielweise 5G-Mobilfunkmasten. Auch Menschen können zum Ziel von Agressionen werden, wie zum Beispiel beim Anschlag in Hanau.

Studien haben bereits nachgewiesen, dass es eine gesteigerte Gewaltbereitschaft unter Anhängern von Verschwörungserzählungen gibt. Schon Verfassungsschutzbericht für das vergangene Jahr wertete die Verbreitung der Verschwörungsideologien als Gefahr für die Demokratie.

Patrick Sensburg

Die Entwicklung besorgt auch Sensburg. Er stellt fest, dass Personen das Vertrauen in die Politik und Demokratie verlieren, wenn sie glauben, dass die Corona-Pandemie eine große Lüge von „denen da oben“ sei, mit dem Ziel, Bürgerrechte einzuschränken.

Dazu gehöre auch die Tatsache, dass Rechtsextreme Verschwörungsideologien verwenden, um sich klassischen linken Themen anzunähern, nach dem Motto, der „Feind meines Feindes ist ein Freund“. Dies kann dazu führen, dass extremistische Ansichten in die Mitte der Gesellschaft sickern.

Da viele Aspekte des Themas an diesem Abend nur angerissen werden konnten, wurde seitens des Publikums der Wunsch geäußert, weitere Veranstaltungen zu dem Thema anzubieten. Wir werden versuchen, dies baldmöglichst umzusetzen.


Bei der nächsten Veranstaltung am 29. September 2020 gehen wir auf Spurensuche zu einem der grausamsten Attentate in der deutschen Nachkriegsgeschichte, dem Anschlag auf das Oktoberfest 1980.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 11.09.2020