Um geheimdienstliche Aktivitäten entwickeln sich im Laufe der Geschichte oft Mythen und Legenden. Das passiert besonders schnell, wenn die Spionage durch Mittel wie Verführung und Sex erfolgt. Die reißerische Schilderung der Geschehnisse durch die Nachwelt hat dann oft nur noch wenig mit der Realität zu tun.
Aus dem 1. Weltkrieg trifft dies auf die Mythenbildung um die Doppelagentin Mata Hari zu, ebenso wie im 2. Weltkrieg auf den legendären Salon Kitty. Das Berliner Edel-Bordell wurde berühmt, weil Nazi-Geheimdienste dort im großen Stil Spionage betrieben.
Bisher musste man sich bei der Beschäftigung zum Salon Kitty durch ein Dickicht von Halbwahrheiten und fiktionalen Ergänzungen kämpfen, um an ein paar magere Fakten zu gelangen. Zum ersten Mal wurde dieses spannende Kapitel der Berliner Spionagegeschichte nun sowohl hinsichtlich der historischen Fakten als auch in Bezug auf die zahlreichen Legenden grundlegend aufgearbeitet.
Der Salon Kitty befand sich im 3. Stock der Giesebrechtstraße 11 im Berliner Stadtteil Charlottenburg. Die gehobene Wohngegend nahe des Kurfürstendamms und die elegante Einrichtung des Bordells sorgten dafür, dass sich dort eine ausgewählte Klientel einfand, Dort fanden sich viele Personen des öffentlichen Lebens wieder. Es war die perfekte Grundlage, um dort Spionage zu betreiben.
Auf Initiative von Reinhard Heydrich, dem Leiter des Reichssicherheitshauptamts (RSHA), wurde nicht nur die notwendige Technik zum Abhören von Gesprächen installiert. Zudem wurde auch das Personal speziell ausgewählt und geschult, um den Besuchern Geheimnisse zu entlocken. Besonderes Augenmerk galt dabei Diplomaten und hohen Nazi-Funktionären.
Doch außer diesen groben Rahmenbedingungen gibt es kaum Details dazu, was im Salon Kitty tatsächlich passierte. Die Inhaberin und Namensgeberin Kitty Schmidt selbst hat sich nie zu den Ereignissen geäußert. Sie nahm ihr Wissen 1954 mit ins Grab. In den folgenden Jahrzehnten beschäftigten sich zahlreiche Romane und auch einige Filme mit dem Nazi-Bordell – ohne es mit der Realität ganz genau zu nehmen.
Dies Darstellung des Salons nahm zum Teil groteske Formen an, wie etwa im 1976 erschienen Softporno „Salon Kitty“. Aber auch Bücher wie Peter Nordens „Salon Kitty. Report einer geheimen Reichssache“, deren Inhalt in der Folgezeit als reale Gegebenheiten in die Berichterstattung zum Salon Kitty einflossen, halten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand.
Erstmals erschien nun mit „Kittys Salon: Legenden, Fakten, Fiktion – Kitty Schmidt und ihr berüchtigtes Nazi-Spionagebordell“ eine umfassende und auch nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten erfolgte Aufarbeitung zum Salon Kitty.
Der Veröffentlichung der Ergebnisse ging jahrelange akribische Kleinarbeit der Autor*innen Julia Schrammel und Urs Brunner voraus. Dabei wurden alle zur Verfügung stehenden Quellen analysiert: Literatur, Archive, Zeitzeugenaussagen, Presseberichte usw. Es gelang Schrammel und Brunner, in zahlreichen Archiven praktisch sämtliche relevanten Geburts- und Sterbeurkunden zu Kitty Schmidt und ihrer Familie aufzustöbern.
Zudem kam den Autor*innen ein besonderer Glücksfall zupass: Bei Recherchen in Slowenien fand sich im Nachlass von Kitty Schmidt eine Schachtel mit mehr als 500 bisher nicht bekannten Fotos. Dort fand sich auch die einzig erhaltene schriftlichen Aufzeichnung von Kitty Schmidt.
Die Autor*innen analysieren in dem Buch sowohl die historischen Geschehnisse um den Salon Kitty, als auch deren fiktionaler Verarbeitung in Büchern und Filmen während der folgenden Jahrzehnte.
Schrammel und Brunner gelingt es, die oft stark verworrenen Erzählstrukturen von Realität und Fiktion behutsam zu entwirren. Zudem erweitern sie das thematische Feld durch Einblicke in nicht minder spannende Nebenaspekte. Dazu gehören etwa die Situation der käuflichen Liebe im 3. Reich allgemein oder biografische Details zu den jeweiligen NS-Persönlichkeiten.
Bei aller wissenschaftlichen Akribie liest sich Kittys Salon lehrreich und unterhaltsam zugleich. Erste Einblicke in das Buch mitsamt Leseprobe und zahlreichen Bildern gibt es auf www.kittys-salon.de.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 22.10.2020