Immer wieder sorgten Spionageoperationen bei ihrer Aufdeckung international für politische Krisen. In einer Hochzeit des Kalten Kriegs war es der Abschuss eines US-Spionageflugzeugs über dem Gebiet der Sowjetunion, welcher monatelang die Schlagzeilen beherrschte. Das Finale des Spionagedramas fand in Berlin statt, als nach langen Verhandlungen der Pilot Francis Gary Powers auf der Glienicker Brücke bei einem Agentenaustausch freikam.
Bevor ein umfassendes Netzwerk aus Satelliten es Geheimdiensten ermöglichte, andere Staaten aus sicherer Distanz zu überwachen, geschah dies durch Aufklärungsflüge. Das Mitte der 1950er-Jahre entwickelte amerikanische Aufklärungsflugzeug Lockheed U-2 gehörte lange zu den wichtigsten und bewährtesten Mittel, mit denen die CIA derartige Flüge durchführte. Mit einer Flughöhe von 20.000 Metern war es damals weder von Flugabwehrraketen noch von gegnerischen Flugzeugen zu erreichen. Die ausspionierten Länder mussten tatenlos zusehen, wie die U-2 mit spezieller Kameratechnik Informationen sammelte.
Francis Gary Powers galt als erfahrener Pilot. Nachdem er jahrelang bei der US Air Force gedient hatte, flog er bereits seit 1956 U2-Aufklärungsflüge für die CIA. Am 1. Mai 1960 startete er in Peschawar in Pakistan für einen weiteren Flug über sowjetisches Gebiet. Als er sich südlich von Swerdlowsk im Ural befand, passierte das Undenkbare: eine Flugabwehrrakete des Typs S-75 traf die U-2. Dieser neuartige Raketentyp verfügte über eine Reichweite, mit der die US-Militärs nicht gerechnet hatten. Darstellungen, dass die U-2 zuvor aufgrund technischer Probleme an Höhe verloren hatte und dadurch erst von den Raketen getroffen werden konnte, widersprach Powers später.
Die sowjetische Flugabwehr hatte zuvor mehrere Raketen auf das Spionageflugzeug abgeschossen. Zudem waren zwei sowjetische Abfangjäger aufgestiegen, denen es jedoch nicht gelang, die U-2 zu erreichen. Tragischerweise wurde einer der Abfangjäger von einer der Flugabwehrraketen getroffen, wobei der Pilot ums Leben kam. Dieses Schicksal blieb Powers erspart. Während seine getroffene U-2 abstürzte, gelang es ihm, sich aus dem Flugzeug zu befreien. Dank seines Fallschirms erreichte er lebend den Boden. Eine versteckte Giftnadel, die er mit sich führte, um in einem solchen Fall einer Gefangennahme zu entgehen, nutzte er nicht.
Unmittelbar nach seiner Landung inhaftierte man Powers und brachte ihn in das KGB-Gefängnis in der Moskauer Lubjanka. Entgegen seinen Befürchtungen behandelte man Powers aber verhältnismäßig gut, wie er in Briefen an seine Familie als auch später öffentlich berichtete. Er wurde vernünftig versorgt und nicht gefoltert. Die sowjetische Führung war sich sofort bewusst, wie wertvoll dieser gefangene amerikanische Spion noch werden konnte – doch dafür musste dieser auch vorzeigbar sein.
Nachdem die Amerikaner bemerkt hatten, dass die U-2 verschollen und wohl abgestürzt war, gingen sie zunächst davon aus, dass Powers tot sei. Sie verschleierten die Spionageoperation und stellten die Aktion als abgestürztes Wetterflugzeug der NASA dar.
Als die UdSSR jedoch daraufhin der Weltpresse den geständigen US-Piloten und das Wrack der U-2 präsentierten, mussten die USA öffentlich die Tatsache eingestehen, dass sie seit Jahren Spionageflüge über dem Gebiet der Sowjetunion durchführten. Der Kalte Krieg wurde noch kälter: der sowjetische Regierungschef Chruschtschow sagte aus Protest seine Teilnahme an einer wichtigen Gipfelkonferenz der alliierten Siegermächte ab. Die US-Regierung musste aufgrund der aggressiven Spionageaktion internationale Kritik einstecken.
Die amerikanischen Geheimdienste CIA und FBI sträubten sich zuerst gegen eine Freilassung von Powers. Die CIA war der Meinung, Powers hätte seine Spionageausrüstung vollständig zerstören und sich selbst töten sollen. Das FBI wiederum hielt den anvisierten Kandidaten für einen Austausch, den in 1957 New York verhafteten KGB-Top-Spion Rudolf Abel, für deutlich wichtiger als Powers.
Aufgrund der schlechten diplomatischen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den USA war keine Seite bereit, bei den Verhandlungen als Verlierer dazustehen. Die Wahl von J.F. Kennedy zum US-Präsidenten 1961 sollte der Entwicklung schließlich den entscheidenden Stoß geben. Auf seinen Druck hin kamen die langen Verhandlungen um einen Austausch Powers gegen Abel zu einem Abschluss.
Der Austausch selbst fand passenderweise in der Hauptstadt der Spione, dem geteilten Berlin statt. Es war ein historisches Ereignis, dass sich am 10. Februar 1962 auf der Glienicker Brücke abspielte. Zum ersten Mal im Kalten Krieg kam es zu einem Agentenaustausch zwischen Ost und West. Dementsprechend nervös waren beide Seiten, ob alles ohne Komplikationen ablaufen würde. Aus diesem Grund geschah der Austausch im Geheimen. Die Öffentlichkeit wurde erst anschließend informiert. Mehr als ein Jahr und 9 Monate nach seinem Abschuss war Francis Gary Powers wieder ein freier Mann.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 01.05.2021