Rückblick: Der Mann ohne Gesicht. Markus Wolf – Ein biografisches Porträt

1979 wurde der langjährige Leiter der DDR-Auslandsspionage HV A, Markus Wolf, durch einen Überläufer aus den eigenen Reihen enttarnt. Das Antlitz des Mannes, der zuvor in westlichen Geheimdienstkreisen nur als „Mann ohne Gesicht“ bekannt war, stellte nun kein Geheimnis mehr dar. Doch die Persönlichkeit des Markus Wolf gibt bis heute Anlass zu Spekulationen und Diskussionen. Das zeigte sich auch bei der Vorstellung der eines biografischen Portraits Wolfs im Deutschen Spionagemuseum am 16. September 2021.

Der lange Weg zum Wolf-Portrait

Peter Jochen Winters ist Autor der Publikation Markus Wolf – Ein biografisches Portrait und ein Kenner der Zeitgeschichte des Kalten Krieges. In seiner langen journalistischen Laufbahn war er unter anderem 1977 bis 1990 als akkreditierter ständiger Korrespondent der FAZ in der DDR tätig. Im Gespräch mit dem Historiker Helmut Müller-Enbergs im Deutschen Spionagemuseum wurde deutlich, dass Winters sich dabei deutlich differenzierter mit den Entwicklungen in der DDR auseinandergesetzt hatte, als dies in vielen Teilen der West-Presse geschah.

Buchcover “Markus Wolf. Ein biografisches Porträt”
[Metropol Verlag]

Auch wenn Wolf in dieser Zeit eine prominente Figur in der DDR darstellte, fiel die Entscheidung, sich tiefgehend mit der Person auseinanderzusetzen, erst viele Jahre später. 1989 habe Winters Wolf zum ersten Mal persönlich im Rahmen einer Buchvorstellung getroffen und ein paar Worte ausgetauscht. Anschließend vergingen 16 Jahre ohne Kontakt, bevor sich beide Männer wiedersahen. Erst 2005, ein Jahr vor Wolfs Tod, folgten einem zufälligen Treffen bei einem Vortrag mehrere intensive Gespräche. Deren Inhalte, ergänzt durch Gespräche mit Bekannten und Verwandten Wolfs fanden schließlich Eingang in die Publikation.

Autor Winters diskutiert mit HV A-Experten

Mit Helmut Müller-Enbergs als Moderator traf Winters im Deutschen Spionagemuseum auf einen ausgewiesenen Fachmann der Geschichte der HV A. Gemeinsam versuchten beide, der widersprüchlichen Persönlichkeit Wolfs auf den Grund zu gehen. Diese blieb im Laufe der Jahre nicht ohne Wandel. Im Gegensatz zu vielen Genossen hatte sich Wolf als langjähriger überzeugter Stalinist und Stellvertreter von Staatssicherheitsminister Erich Mielke in den 1980er-Jahren den Reformgedanken der Gorbatschow-Ära nicht verschlossen.

Auch hatte Wolf in Gesprächen mit Winters erwähnt, dass er im Nachhinein einige seiner Handlungen als Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR kritisch sehe. Laut Winters genoss Wolf durchaus seine Freiheit als HV A-Chef und seine damit verbundene geheimdienstliche „Spielwiese“. Wenn es aber um ernsthafte Entscheidungen im Rahmen der Handlungen des MfS ging, habe er oft den Mund gehalten und sein Fähnchen nach dem Wind gerichtet.

Helmut Müller-Enbergs (li.) im Gespräch mit Peter Jochen Winters

Schwieriges Verhältnis zum Vorgesetzten Mielke

Besonders schwierig sei das Verhältnis zu seinem langjährigen Vorgesetzten Erich Mielke gewesen. Das ergab sich nicht zuletzt aufgrund der sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten beider Männer. Trotz allem habe er an Mielkes Geburtstag sogar dessen Laudatio gehalten. Allerdings dachte er insgeheim das Gegenteil von dem, was er dabei referierte. Generell folgte Wolf den Anweisungen seines Vorgesetzten. Dies führte wiederholt zu Verflechtungen mit der geheimpolizeilichen Arbeit in der DDR.

Winters und Enbergs stimmten darin überein, dass spätestens hier das oft propagierte Bild von Wolf als „Gentleman-Spion“ Riss bekam. Zumindest an einem Teil der vom Ministerium für Staatssicherheit ausgehenden Repression gegen die DDR-Bevölkerung hatte also auch Wolf Anteil. Dieses Bild findet sich allerdings so kaum in vielen Darstellungen über Wolf. Dieser Umstand geht laut Enbergs wahrscheinlich auch darauf zurück, dass Wolf selbst bei den zahlreichen Gesprächen, die er mit Winters und anderen führte, seine Biografie etwas verändert habe. Gezielt habe er unpopuläre Passagen weggelassen oder relativiert.

War Wolf ein Reformer?

Vor dem Hintergrund dieser Eingriffe Wolfs in die eigene Biografie hinterfragte Enbergs auch, ob denn die Wandlung Wolfs zum Reformer glaubhaft war? Dieser Aspekt ließ sich nicht endgültig auflösen. Sicherlich, so gab Winters zu, war Wolf kein Reformer im revolutionären Sinne. Aber eine schrittweise Annäherung an die Reforminhalte Gorbatschows war nicht abzusprechen. Diese Entwicklung entstand aus der Erkenntnis, dass ein Festhalten am Sozialismus, wie ihn Honecker für die DDR vorsah, zum Scheitern verurteilt war. Damit einhergehend leitete die langsame innere Abkehr von der alten Sichtweise auch den Abschied Wolfs aus der HV A ein. 1986 ging er in den Ruhestand.

An diesem Abend ließen sich beileibe nicht alle Facetten der Persönlichkeit des Markus Wolf entschlüsseln. Doch das Gespräch der Experten bot weitere Einblicke in Innenleben des HV A-Chefs – auch wenn dabei der Mythos des Gentleman-Spions Wolf deutliche Kratzer erhielt.


In der nächsten Veranstaltung des Deutschen Spionagemuseums am 21. September 2021 geben die Sprachprofiler Leo Martin und Patrick Rottler Einblicke in den Tatort Text.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 18.09.2021