Investigative Journalisten gehören neben aktuellen und ehemaligen Geheimdienst-Mitarbeitern zu den wertvollsten Quellen, wenn es darum geht, Einblicke in geheimdienstliche Aktivitäten zu erhalten. Umso spannender gestaltete sich eine Podiumsdiskussion im Deutschen Spionagemuseum, bei der zwei Journalisten über die Arbeit von Geheimdiensten berichteten und schilderten, wie sie an diese eigentlich unzugänglichen Informationen gelangen.
Das große öffentliche Interesse an dem aktuellen Thema spiegelte sich auch in der Tatsache wider, dass der Veranstaltungssaal am 11. November 2021 bis auf den letzten Platz besetzt war. Zahlreiche Interessierte wollten sich die seltene Gelegenheit nicht entgehen lassen, diese international besetzte Podiumsdiskussion mitzuerleben. Die Veranstaltung war Teil der Veranstaltungsreihe „Die Zukunft der Spionage“ im Deutschen Spionagemuseum.
Nur wenige Journalisten haben sich in den vergangenen Jahren so intensiv mit der Arbeit der russischen Geheimdienste beschäftigt wie Andrei Soldatow. 2000 gründete er die Website Agentura.Ru, welche Regierungsdokumente sowie Informationen über Geheimdienstmethoden publiziert.
Lê Trung Khoa betreibt seit zehn Jahren von Berlin eine Website mit Nachrichten über sein Heimatland Vietnam. Berichte über die Praktiken des vietnamesischen Geheimdienstes wie der Entführung eines Vietnamesen aus dem Berliner Tiergarten im Jahr 2017 sorgten dafür, dass der Journalist wiederholt Drohungen erhielt.
Auch wenn die Diskussion vor allem die Arbeit ausländischer Geheimdienste behandelte, lag ein wesentlicher Schwerpunkt auf Deutschland und vor allem dem Spionage-Hotspot Berlin, denn auch hier werden diese Dienste tätig. Die deutsche Sicht repräsentierte Patrick Sensburg, Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses und Mit-Organisator der Veranstaltungsreihe. Moderiert wurde die Diskussion von Stephan Lenz, ehemaliger Ausschussvorsitzender des Berliner Untersuchungsausschusses zum Fall Amri.
Beide Journalisten berichteten, dass als klare Entwicklung der vergangenen Jahre in der Geheimdienstwelt zu beobachten ist, wie internationale Aktionen stetig zunehmen. Dabei sinke auch die Hemmschwelle und die Geheimdienste nehmen in Kauf, dass diese Aktionen an das Licht der Öffentlichkeit geraten. Dies habe zum Beispiel der Fall Skripal gezeigt. Dies sei zum Teil sogar gewollt, um eine klare Warnung an Gegner zu hinterlassen.
Die zunehmende Internationalität beschränke sich dabei keineswegs auf die Auslandsgeheimdienste. Wie Soldatow berichtete, seien etwa von russischer Seite auch der Inlandsgeheimdienst FSB und der Militärnachrichtendienst GRU im Ausland aktiv. Die Ausweitung der „Geschäftsbereiche“ begründe sich unter anderem darin, dass zahlreiche russische Bürger dauerhaft in Europa leben. Diese wolle die russische Regierung aber nicht gänzlich der staatlichen Kontrolle entzogen wissen.
Aus dem gleichen Grund ergäben sich laut Lê Trung Khoa auch Aktivitäten des vietnamesischen Geheimdienstes in Deutschland. Schwerpunkt ist hier Berlin, wo sowohl von russischer als auch von vietnamesischer Seite die größte Bevölkerungsgruppe in Europa außerhalb der Heimat anzutreffen ist. Zu beiden Ländern gäbe es zudem enge ökonomische Verbindungen, die einen Einsatz von Agenten interessant mache. Dabei gehe es zum Beispiel darum, Informationen zu aktuellen wirtschaftlichen Plänen der deutschen Regierung oder bestimmter Unternehmen zu sammeln.
Immer wieder finden sich in den aktuellen Nachrichten Meldungen, wie gefährlich die investigative Arbeit von Journalisten ist, welche sich mit Geheimdiensten beschäftigen. Unangenehme Erfahrungen mit den Geheimdiensten, über die sie berichten, hat vor allem Lê Trung Khoa gemacht. Wiederholt erhielt er unverhohlene Morddrohungen. Auch wurden Verwandte sowie Freunde unter Druck gesetzt, mit dem Ziel, sich von ihm abzuwenden.
Konkrete Details zur Herkunft ihrer Informationen konnten weder Soldatow noch Lê Trung Khoa geben. Der Schutz ihrer Quellen habe oberste Priorität. Ein paar Einblicke in ihre Arbeit erlaubten beide dennoch. Vor allem die Verbindungen zu aktiven Geheimdienst-Mitarbeitern sei eine unerlässliche Ressource.
Dabei handele es sich selten um Idealisten, denen es darum gehe, fragwürdige Praktiken der Geheidienste anzuprangern. Oft seien es Mitarbeiter, die mit ihrer Stellung im Dienst oder dem Gehalt unzufrieden seien oder sich bei internen Machtkämpfen benachteiligt fühlten. Zur Zusammenarbeit mit den Journalisten komme es unter anderem, weil sich die Geheimdienst-Mitarbeiter erhoffen, ihren Kontrahenten zu schaden oder Druck auf den Dienst ausüben zu können.
Bevor solche Personen jedoch soweit sind, relevante Informationen preiszugeben, sei viel Geduld erforderlich, wie Soldatow berichtete. Dazu müsse man lange Gespräche zu oft nichtigen persönlichen Befindlichkeiten über sich ergehen lassen, um langfristig Vertrauen aufzubauen. Nicht immer lohne sich der Aufwand – manchmal beginnt eine Geheimdienst-Quelle erst nach Jahren zu sprudeln, manchmal auch gar nicht.
Zum Abschluss der Veranstaltung betonte Patrick Sensburg die hohe Bedeutung, die Investigativ-Journalisten bei der Offenlegung geheimdienstlicher Praktiken hätten. Zusammen mit Sensburg wird das Deutsche Spionagemuseum weiterhin am Ausbau der Veranstaltungsreihe „Die Zukunft der Spionage“ arbeiten.
Die nächste Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum am 25. November 2021 widmet sich der Spionagetechnik im Kalten Krieg. Experten und Zeitzeugen beleuchten die geheimen Werkstätten der Staatssicherheit.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 18.11.2021