Selten wurde Berliner Geschichte aus dem Kalten Krieg so lebendig wie am 9. Dezember 2020 im Deutschen Spionagemuseum. Zeitzeugen und Experten gaben Einblicke in ein fast vergessenes Ereignis: den Absturz eines russischen Militärflugzeugs in den Stößensee im April 1966.
Die Besetzung des Podiums ermöglichte einen vielschichtigen Blick auf die Ereignisse jenes Tages. Der Historiker Bernd von Kostka ist Kurator des AlliiertenMuseums und beschäftigt sich seit Jahren mit der Spionagegeschichte Berlins. Klaus Abraham war als Feuerwehrtaucher einer der ersten Personen an der Absturzstelle. Er erlebte das Geschehen hautnah mit. Die Journalistin Gesine Dornblüth ist Autorin der bald erscheinenden Publikation Ruhmlose Helden, welche die Geschichte der Piloten beleuchtet. Moderiert wurde die Veranstaltung von dem Historiker Helmut Müller-Enbergs.
Kostka erklärte einleitend, weswegen ein Flugzeugabsturz sich überhaupt als Thema für das Deutsche Spionagemuseum eignet. Es handelte sich nicht um irgendein Flugzeug, sondern um einen neuen Prototyp des russischen Militärs. Das technische Innenleben dieses Modells war den westlichen Militärs noch völlig unbekannt. So verwundert es wenig, dass sie sofort die Möglichkeit zum Ausspionieren des Flugzeugs erkannten, als es auf einmal in einen Westberliner See stürzte.
Über die Absturzursache konnten Kostka und Dornblüth nur spekulieren. Dornblüth hatte zwar versucht, die Akten zu dem Ereignis in Moskau einzusehen, doch diese sind nach wie vor unter Verschluss. Bekannt sei aber, dass die Maschine bereits in den Tagen vor dem Absturz technisch auffiel und repariert werden musste. Die Tatsache, dass bei dem anschließenden harmlosen Überführungsflug innerhalb der DDR beide Triebwerke aussetzten, lege den Schluss nahe, dass das Modell noch nicht ausgereift genug war. Eventuell wollte man von russischer Seite die neue Maschine zu vorschnell zum Einsatz bringen.
Lebendig und packend berichtete der ehemalige Feuerwehrtaucher Abraham, dass beim Anblick des roten Sowjetsterns auf dem Wrack schon beim ersten Tauchgang klar wurde: dies wird kein gewöhnlicher Einsatz. Die Taucher realisierten die Bedeutung des Absturzes auch an der Tatsache, dass britische Soldaten nach den Tauchgängen Leibesvisitationen an ihnen vornahmen. Trotzdem gelang es Abraham, ein etwa 20 cm langes Stück des Wrackes herauszuschmuggeln („Taucher sind nun mal Trophäensammler…“) und an diesem Abend im Deutschen Spionagemuseum zu präsentieren.
Aus den Schilderungen Abrahams wurde deutlich, wie stark die Absturzstelle abgesichert wurde. Versuche von sowjetischer Seite, die Bergung selbst durchzuführen, wurden von britischer Seite mit allen Mitteln verhindert. Das galt auch, als bereits zwei russische Amphibienfahrzeuge über den Checkpoint Charlie bis an den See vorgefahren waren. Dabei kam es durchaus zu kritischen Situationen, die unter Umständen einen bewaffneten Konflikt hätten auslösen können, wie Kostka schilderte.
Doch es blieb friedlich und so gelang es den Briten, heimlich technische Ausrüstung zu bergen und zu analysieren. Erst nach der Analyse wurden die Gerätschaften dann „offiziell“ geborgen. Das Wrack und die Leichen der Piloten übergab man nach Abschluss der Bergung an die Sowjetunion.
Gesine Dornblüth kam durch einen Zufall mit der Geschichte des Flugzeugabsturzes in Berührung, als sie bei einem Kanuausflug eine Gedenktafel für die Piloten entdeckte. Diese hatten nach dem technischen Ausfall der Maschine darauf verzichtet, sich per Schleudersitz zu retten, sondern das Flugzeug gezielt weg von dichtbesiedeltem Gebiet in den Stößensee gesteuert. Ihr Opfer wurde damals öffentlich von Berlins Bürgermeister Willi Brandt gewürdigt.
Auch wenn die Piloten in der Sowjetunion ebenfalls gelobt wurden und posthum eine Auszeichnung erhielten, so fiel die dortige Wertschätzung laut Dornblüth insgesamt deutlich zurückhaltender aus. Nach vielen Gesprächen mit den Familien der Piloten kam die Journalistin zu dem Schluss, dass eine Heldenverehrung, wie sie bei ähnlichen Fällen stattgefunden hatte, politisch in der Sowjetunion nicht gewollt war. Das könne auch damit zusammenhängen, dass die Piloten für den Verlust der geheimen Flugzeugtechnik an die Briten verantwortlich gemacht wurden. Der Absturz sorgte schließlich dafür, dass der Flugzeugtyp nie in Serienproduktion ging.
Dennoch ging das Andenken an die Piloten nie ganz verloren. Die erwähnte Berliner Gedenktafel wurde auf Initiative dortiger Anwohner aufgestellt und in der Heimatstadt der Piloten konkretisieren sich aktuell Planungen für ein Ehrenmal.
Weitere außergewöhnliche Einblicke in die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Spionage wird es auch im nächsten Jahr wieder geben. Die Deutsche Spionagemuseum setzt seine Veranstaltungsreihe ab März 2022 fort. Wer es bis dahin nicht erwarten kann – das Museum bleibt geöffnet!
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 16.12.2021