Heute beginnt am Oberlandesgericht München der Spionageprozess um einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, der an der Uni Augsburg für den russischen Auslandsgeheimdienst spioniert haben soll. Dabei handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall. Spionage in Wissenschaft und Forschung findet global immer mehr Beachtung durch Geheimdienste.
Bei dem aktuellen Fall soll der wissenschaftliche Mitarbeiter Ilnur N. des Instituts für Materialforschung an der Uni Augsburg mehrmals Kontakt mit dem russischen Auslandsgeheimdienst SWR gehabt haben. Insgesamt kam es zu drei Treffen, bei denen Ilnur N. Informationen zu Raumfahrttechnologie, insbesondere Technologie zur europäischen Trägerrakete Ariane, auf USB-Sticks an einen Agenten des SWR übergab.
Als Gegenleistung erhielt Ilnur N. insgesamt 2.500 €. Allerdings sagte er nach seiner Verhaftung aus, nicht gewusst zu haben, dass sein Kontaktmann die Informationen an den russischen Geheimdienst weitergab. Die Anklage der Bundesanwaltschaft lautete auf geheimdienstliche Agententätigkeit gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Das mögliche Strafmaß reicht von einer einfachen Geldstrafe bis zu einer Haftstrafe von fünf Jahren.
International warnen mehrere Geheimdienste vor verstärkter Spionage an Universitäten. 2019 veröffentlichte das FBI eine umfangreiche Einschätzung zur Gefahr chinesischer Spionage an amerikanischen Universitäten. Das Ziel solcher Aktivitäten ist es, die wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und militärischen Entwicklungsziele des eigenen Landes voranzutreiben und viel Zeit, Geld und Ressourcen zu sparen, die durch langwierige Forschungsarbeit anfallen.
Beliebte Fachbereiche für Spione bilden zum Beispiel Informatik, diverse Ingenieurwissenschaften oder auch die medizinische Forschung. Konkrete Spionageziele sind dabei unter anderem unveröffentlichte Forschungsergebnisse, generelle Forschungsdaten, eingesetzte Laborausrüstung und Software, Informationen zu Computernetzwerken sowie Kunden- und Mitarbeiterdaten.
Die Sorge vor Wissenschafts-Spionage ist weit verbreitet. 2019 warnten die britischen Geheimdienste MI5 und GCHQ vor Spionageaktivitäten gegen Forschung und Computersysteme an britischen Universitäten. Im vergangenen Jahr beschloss die britische Regierung die Einrichtung eines Research Collaboration Advice Teams. Dieses bietet Forschern vor der Aufnahme internationaler Kooperationen eine vertrauliche Sicherheitsberatung an. Damit sollen Forschungsmittel vor „feindlichen Akteuren“ in China und anderen Ländern geschützt werden.
Im Jahr 2021 hatten zudem sowohl der kanadische wie auch der australische Geheimdienst vor Spionage an den Universitäten des Landes gewarnt. In Finnland werden derzeit Anti-Spionage-Leitlinien für die Universitäten ausgearbeitet. Nach Angaben des finnischen Sicherheitsnachrichtendienstes ist das Risiko in Bezug auf China hier ebenfalls gestiegen.
Auch in Deutschland warnen Experten davor, dass deutsche Forschungseinrichtungen im Visier ausländischer Wissenschaftsspione stehen. Immer häufiger werden Studenten demnach an deutschen Hochschulen zur Betriebsspionage eingesetzt. Neu ist die Problematik allerdings nicht: Der bayrische Verfassungsschutz hat bereits vor 10 Jahren Sensibilisierungskurse zu Wissenschaftsspionage für Forschende und Lehrende an Hochschulen angeboten, um die Gefahr von Spionage zu verringern.
Die gängigen Lösungsansätze zur Verringerung der Spionagegefahr umfassen eine verstärkte Sensibilisierung der Öffentlichkeit, erhöhte akademische Wachsamkeit, zuverlässigen Selbstschutz der Industrie, eine enge Zusammenarbeit von Regierung und Strafverfolgungsbehörden sowie die Unterstützung durch den Gesetzgeber.
Universitäten und Forschungseinrichtungen stehen dabei immer mehr vor dem Problem, ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen uneingeschränktem Austausch und ausreichender Sicherheit innerhalb dieses Bildungssystems zu finden. Massive Sicherheitsvorkehrungen mit komplizierten individuellen Berechtigungen behindern nicht nur die Lehre, sondern auch den täglichen Betrieb. Eine durch Spionagehysterie geförderte Atmosphäre des Misstrauens ist dem Wesen international ausgerichteter Institutionen abträglich.
In jüngster Zeit haben chinesische Wissenschaftler, die aus den USA nach China zurückkehrten, vermehrt das feindliche Umfeld in den Vereinigten Staaten als einen Faktor genannt. Das kann für Universitäten und Unternehmen zum Problem werden. Kooperationen mit wichtigen Partnern wie China müssen gepflegt werden, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Es ist eine Gradwanderung, welche die akademische Landschaft dauerhaft beschäftigen wird.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 17.02.2022