Smartphone-Apps als Abhörwanzen – Journalistische Recherchen zeigen, was technisch möglich ist

Viele Smartphone-Nutzer berichten, dass sie über Google oder Social Media Werbeanzeigen zu einem Thema erhalten, über das sie sich zuvor mit Freunden oder Kollegen unterhalten haben. Der Verdacht liegt nahe: Über die Mikrofone der stets am Köper getragenen Smartphones lauschen Unternehmen heimlich mit. Neue journalistische Recherchen zeigen, wie das technisch möglich wäre. 

Datenspionage mit Smartphone-Mikrofonen 

Das mögliche Motiv für eine derartige Datenspionage liegt auf der Hand. Google, YouTube, Instagramm verdienen jährlich Milliarden mit personalisierter Werbung. Je spezifischer die jeweiligen Kundeninformationen, desto höher die Chance, dass Unternehmen durch die Werbung ihre Produkte vertreiben können.  

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Der grundsätzliche Zugang zum Mikrofon der Smartphones ist für die Unternehmen in der Regel leicht. Zahlreiche Apps sichern sich bei der Installation auf den Smartphones Zugriffsrechte auf die Kamera, die GPS-Sensoren oder auch das Mikrofon. Der Zugriff der Apps lässt sich zwar verweigern, doch dies schränkt auch die Nutzbarkeit der Apps zum Teil empfindlich ein.

Technisch gesehen sind die in den Smartphones verbauten Mikrofone mittlerweile so gut, dass sich damit nicht nur Gesprächsinhalte, sondern auch verbale Emotionen problemlos erfassen und auswerten lassen.

Spionagesoftware analysiert Hintergrundgeräusche 

Dass die Mikrofone von Smartphones über Apps grundsätzlich zum Abhören genutzt werden, ist spätestens seit einer Recherche des New York Times im Jahr 2017 klar. Damals hatten Journalisten hunderte von Apps identifiziert, die ihre Nutzer belauschen.

Allerdings wurden dabei nicht Gesprächsinhalte aufgenommen, sondern Hintergrundgeräusche. Das Ziel war es herauszufinden, welche Musik läuft oder welche TV-Spots geschaut werden. Anschließend sollte auf dem Handy dazu passende Werbung gezeigt werden.  

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Diese Lauschaktion jedoch vollzog sich im rechtlich erlaubten Rahmen. Der Einsatz der für die Analyse der Hintergrundgeräusche angewendeten Software stand in den AGBs der Apps. Viele der Nutzer haben diese zwar (wie üblich) nicht beachtet, ihnen aber dennoch vor der Installation der Apps zugestimmt. Außerdem ist es grundsätzlich rechtlich eine andere Sache, ob man konkrete Gesprächsinhalte aufzeichnet oder nur Hintergrundgeräusche. Dazu später mehr. 

Bayrischer Rundfunk testet technische Spionagemöglichkeiten 

Das Team AI + Automation Lab des Bayerischen Rundfunks (BR) hat kürzlich verschiedene technische Wege getestet, wie man Smartphone-Apps als Wanzen nutzen könnte. Als erstes testete das Team, ob gängige Apps die Inhalte von fingierten Gesprächen in der Umgebung der Smartphones belauschen. Jedoch fand sich anschließend in den Social Media-Accounts der Smartphones kein nachweisbarer Anstieg an Werbung zu den angesprochenen Themen. 

Das Team stellte sich nun die Frage, ob es technisch überhaupt möglich ist, dass die Apps unbemerkt die Mikrofone nutzen. Um das zu testen, entwickelten sie eine eigene App, welche Funktionen von Social Media-Apps ausführte. Dazu gehörte auch die Nutzung des Mikrofons, um Sprachkommentare zu Bildern aufzunehmen. Die App war so programmiert, dass bei Betätigung eines Sprachbefehls das Mikrofon heimlich weiterlief. 

Abhörsicherheit iPhone vs. Android 

Beim iPhone wurde diese versteckte Aufnahme erkannt und angezeigt. Der Privacy Indicator sorgte dafür, dass während der regulären Nutzung der Mikrofonbetrieb durch ein gelbes Licht in der Statusleiste angezeigt wird. Nach Beendigung der App machte der Privacy Indicator durch ein rotes Licht deutlich, dass die Aufnahme weiterlief, obwohl damit keine App-Funktion mehr verknüpft war. Sobald das Display ausgeschaltet wurde, stoppte die Aufnahme automatisch. 

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Beim Android-Smartphone dagegen konnte die App mehr ausspionieren, eine visuelle Benachrichtigung zur Nutzung des Mikrofons wie beim iPhone gibt es nicht (erst ab Android 12). Dem Team war es möglich, bis zu einer Stunde heimlich Sprachaufzeichnungen zu machen. Dazu muss bei dem System eigentlich eine Benachrichtigung den Nutzer informieren.

Doch diese ließ sich so programmieren, dass sie nur angezeigt wird, wenn der Bildschirm aus ist. Für den Nutzer blieb sie also unsichtbar. Die Tests des BR-Teams machen deutlich: Technisch gibt es durchaus Wege, über Smartphone-Apps heimlich das Mikrofon zu aktivieren. 

Theorie & Praxis der Smartphone-Spionage 

Stellt sich nur die finale Frage: Nutzen Unternehmen eine solche Abhörfunktion? Beweisen lässt sich das nicht – und einige Experten bezweifeln dies auch. Rechtlich sind die Regelungen nämlich eindeutig: Smartphones dürfen nicht als Abhörinstrument eingesetzt werden. Auch die Aufzeichnung privater Gespräche steht unter Strafe. Für ein Unternehmen wäre ein solches Unterfangen also sehr gefährlich und könnte bei Aufdeckung zu erheblichen rechtlichen Konsequenzen und einem massiven Imageschaden führen. 

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Zudem erhalten Social Media-Apps ohnehin bereits zahlreiche freiwillig geteilte Informationen zum Leben der Nutzer. Diese reichen völlig aus, um vermarktbare Profile zu erstellen. Tatsächlich könnte hier auch der Grund liegen, dass die Benutzer zu Produkten Werbung erhalten, nach denen sie selbst nicht gesucht haben: Durch die Analyse der Standort-Daten ergeben sich für die Unternehmen Bezugspunkte zwischen verschiedenen Nutzern.  

Wenn man sich mit Freunden getroffen hat, die selber zu dem Thema recherchiert hatten, kommt die Datenanalyse eventuell zu dem Schluss, dass es Sinn macht, auch anderen Usern, mit denen man über soziale Netzwerke und auch Standortdaten Kontakt hat, ähnliche Vorschläge zu schicken. Auch ohne das Belauschen der konkreten Gesprächsinhalte ist dann eine Ausspielung von passenden Werbeinhalten möglich, da sich die Interessen in Freundeskreisen oft überschneiden. 

Wer seinen digitalen Fußabdruck reduzieren möchte, der sollte sich den ultimativen Datenschutz-Leitfaden anschauen.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 31.03.2022