„Going Dark“ steht für ein Schreckensszenario jeder Sicherheitsbehörde: das Versiegen eines Informationskanals. Die Tatsache, dass immer mehr digitale Kommunikationskanäle hochwertige Verschlüsselungen anbieten, beunruhigt Geheimdienste weltweit. Welche Auswirkungen das auf die Geheimdienstarbeit hat, diskutierten Experten am 24. Mai 2022 im Deutschen Spionagemuseum.
Das Podium war vielschichtig besetzt, um die Herausforderungen für Geheimdienste in der digitalen Welt aus möglichst vielen Perspektiven zu beleuchten. Sandro Gaycken gilt als renommierter Cyberkrieg-Experte und ist zudem Gründer von Monarch, einem privaten militärischen Nachrichtendienst. Matthias Schulze arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Gerhard Schindler leitete 2011 bis 2016 den Bundesnachrichtendienst. Die Moderation übernahm Patrick Sensburg, Politiker und ehemaliger Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses.
Schnell wurde klar: Die oft vereinfacht beschriebene Problematik, dass Geheimdienste mit zunehmenden Datenvolumen bei gleichzeitigem Ausbau der Verschlüsselungstechnologien Probleme bei dem Zugriff auf Informationen haben, greift zu kurz. Matthias Schulze wies darauf hin, dass sich zeitgleich die Möglichkeiten für Geheimdienste enorm erhöht hätten, auf Open Source-Informationen zuzugreifen.
Sandro Gaycken ergänzte, dass es ein offenes Geheimnis sei, das viele Software-Produzenten von sogenannte Hintertüren einbauen, mit denen sich bestimmte Verschlüsslungsverfahren umgehen ließen. Dies sei von Seiten einiger Staaten gefordert, um Produkte beispielweise auf den amerikanischen oder chinesischen Markt zu bringen.
Auch gäbe es mittlerweile IT-Tools auf dem Markt, mit denen sich neue Zugangsmöglichkeiten zu Informationen eröffnen, beispielweise die umstrittene Software Pegagus. Mit ausreichend finanziellen Mitteln gäbe es also das „Going Dark“-Problem im Prinzip kaum noch.
Fragt sich nur, ob das auch für die deutschen Dienste gilt. Gerhard Schindler sieht den BND im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Sicherlich erreiche man nicht das Niveau amerikanischer oder britischer Geheimdienste. Doch es spreche für sich, dass der BND in allen internationalen Arbeitsgruppen vertreten ist, in denen sich die westlichen Geheimdienste austauschen und vernetzen. Hier kämen keine „stillen Teilhaber“ rein, man müsse sich seinen Platz durch Lieferung relevanter Informationen erst verdienen.
Grundsätzlich müsse man festhalten, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Geheimdienste autark agieren. Die internationale Vernetzung ist angesichts der Vielfältigkeit der Informationen und Arbeitsfelder unabdingbar geworden. Ein solcher Informationsaustausch finde laut Gaycken auch zwischen anderen Geheimdiensten statt, etwa den russischen und den chinesischen – wenn auch zuweilen mit starken Differenzen.
Auch eine nachrichtendienstliche Differenzierung zwischen In- und Ausland könne es bei Cyberthemen laut Matthias Schulze eigentlich nicht mehr geben. Alle Cyberaktionen wirken sich über kurz und lang grenzübergreifend aus. Um die Möglichkeiten des Zugriffs auf landeseigene IT-Strukturen zu begrenzen, geht die Tendenz gegenwärtig zunehmend dahin, ausländische IT-Produkte zu verbannen. Das aktuelle Beispiel bietet die Firma Kaspersky, deren Produkte schon länger bei amerikanischen Behörden verboten sind – ähnliches erfolgt in Folge des Ukraine-Kriegs nun auch in Europa.
Angesichts der sich rasch veränderten Anforderungen der digitalen Welt waren sich alle Teilnehmer des Podiums einig, dass ein Strukturwandel der deutschen Geheimdienstlandschaft überfällig ist. Allerdings gingen die Vorstellungen darüber auseinander, wie dieser aussehen habe.
Schindler forderte ein grundsätzliches Überdenken der deutschen Sicherheitsstrukturen, die in dem jetzigen Zustand bereits seit den 1950er-Jahren beständen. Zu überlegen wäre zum Beispiel, ob es zeitgemäß ist, dass jedes Bundesland einzelne Verfassungsschutzorgane unterhalte. Auch die strikte Trennung in Inlands- und Auslandsgeheimdienst sei zu überdenken.
Deutlich flexibler müssen deutsche Geheimdienste laut Matthias Schulze vor allem im Hinblick auf das Besoldungs- und Beschaffungswesen werden. Mit den derzeitigen Rahmenbedingungen sei es derzeit kaum möglich, qualifiziertes IT-Personal langfristig zu halten oder dringend benötigte IT-Tools zeitnah zu besorgen. Auch für Gaycken stellen die im Vergleich zur freien Wirtschaft “lächerlichen Gehältern” deutscher Behörden ein elementares Problem dar.
Eine mögliche Lösung sieht er in der Privatisierung bestimmter nachrichtendienstlicher Aufgabenbereiche. Eine ähnliche Entwicklung ist schon seit längerem in den USA zu beobachten, wo die Geheimdienste auf das Fachpersonal privater Unternehmen zugreifen. Oft weisen diese Unternehmen eine deutlich bessere Expertise zu bestimmten Themenfeldern auf. Außerdem können sie unbürokratischer agieren und anstehende Aufgaben rascher lösen.
In einer Hinsicht waren sich das Podium und das Publikum nach der hochinteressanten Diskussion einig: Das Thema bietet genug Inhalt für zahlreiche weitere Veranstaltungen. Auch im nächsten Quartal werden wir versuchen, die Thematik wieder aufzugreifen und die Diskussion um gegenwärtige Geheimdienstarbeit fortzusetzen.
Die nächste Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum am 31. Mai 2022 beschäftigt sich mit den politischen Morden der Staatssicherheit. Gleich zwei neue Publikationen bieten unbekannte Einblicke in dieses spannende Thema.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 26.05.2022