In der öffentlichen Wahrnehmung prägen vor allem Männer das Bild vom typischen Geheimagenten. Dass die Realität anders aussieht und auch Geheimagentinnen schon immer an wichtigen Spionageoperationen beteiligt waren, beweist eine neue Publikation zweier SPIEGEL-Journalisten. Am 1. November 2022 stellten die Autoren das Buch im Deutschen Spionagemuseum vor.
Das Interesse an dem Thema weibliche Agentinnen war unübersehbar, als die Autoren der Publikation Die Unsichtbaren. Wie Geheimagentinnen die deutsche Geschichte geprägt haben das Podium im Deutschen Spionagemuseum betraten. Der Raum war bis zum letzten Platz gefüllt, gespannte Erwartung lag in der Luft. Doch das Autorenteam Ann-Katrin Müller und Maik Baumgärtner kam nicht allein: Als Moderator hatten sie mit Gerhard Conrad einen ausgewiesenen Kenner der Geheimdienstszene mitgebracht.
Conrad betonte gleich zu Beginn der Veranstaltung den Verdienst des Buches, erstmals einen fundierten Überblick zu einem Thema zu bieten, welches bisher nur wenig Beachtung gefunden habe. Als Wissenschaftler lobte Conrad auch die Menge und Qualität der verwendeten Quellen.
Es sei gelungen, ein lesbares journalistisches Buch zu schaffen, das dabei auch wissenschaftlichen Ansprüchen genüge. So könne es als Grundlage für weiterführende Studien und Arbeiten dienen.
Ann-Katrin Müller schilderte, dass die Idee zu dem Buch während des Lockdowns der Corona-Pandemie entstand. Sowohl sie als auch ihr Kollege Maik Baumgärtner, beide arbeiten als Journalisten für den SPIEGEL, waren im Laufe vorhergehender Arbeiten bereits mehrfach mit den Thema Geheimdienste in Berührung gekommen.
Bei diesen Gesprächen kam schließlich auch die Frage auf, weshalb sich diese Geschichten bisher vor allem um Männer drehten. Gab es tatsächlich kaum relevante weibliche Spione? Nach Durchsicht der vorhandenen Fachliteratur zum Thema wurde den beiden Journalisten klar, dass auch diese sich vor allem mit den männlichen Vertretern des Genres beschäftigte. Um der Angelegenheit auf den Grund zu gehen, hieß es also: tiefer graben.
Es folgte eine eingehende Archivrecherche. Unter anderem wurde dabei das Bundesarchiv konsultiert, aber unter anderem auch die Archive der Geheimdienste BND und BfV. Insgesamt stecken in dem Buch über zwei Jahre Recherche, so das Autoren-Team.
Neben dem reinen Recherchefleiß war dabei mitunter auch viel Geduld gefragt, wie Müller und Baumgärtner berichteten. Viele der relevanten Akten aus den Geheimdienst-Archiven wurden erstmalig zu Recherchezwecken angefragt und mussten daher vor der Ausgabe erst langwierig deklassifiziert werden.
Der Aufwand hat sich gelohnt: Am Ende der Recherche stellte sich heraus, dass die Sorgen, ob das Material reichen würde, unbegründet war. Die Autoren fanden Akten zu Geheimdienst-Aktivitäten von etwa 100 Frauen. Zuviel für ein Buch, es musste also priorisiert werden.
Als Beispiel für eine der Agentinnen-Biografien, die es schließlich in das Buch geschafft haben, schilderten die Autoren das Schicksal von Lily Sergueiew. Offiziell agierte diese als Spionin für die Abwehr, den deutschen militärischen Nachrichtendienst. In Wahrheit aber war sie eine der wichtigsten Doppelagentinnen des Zweiten Weltkriegs.
Insgeheim gab sie Informationen an die Briten weiter und fütterte die Deutschen gleichzeitig mit Falschinformationen. Ihr Hauptauftrag bestand darin, zur Verschleierung des alliierten Landungspunkts am D-Day beizutragen.
Die Journalisten Müller und Baumgärtner zeigten sich verwundert, dass dieser Fall bisher kaum aufgearbeitet worden war. Dieser Umstand erstaune umso mehr, da es reichlich Aktenmaterial gab und sogar das Tagebuch von Lily Sergueiew veröffentlicht wurde. Und dies sei nur einer von vielen außergewöhnlichen Fällen, die bisher zu wenig Beachtung gefunden hätten.
Dass dem Thema Agentinnen bisher so wenig Aufmerksamkeit zugekommen sei, lag nach Einschätzung der Autoren auch an dem lange männlich dominierten Arbeitsfeld der Geheimdienste. Diese hätte dazu geführt, dass viele ehemalige weibliche Geheimdienst-Mitarbeiterinnen, mit denen die Journalisten sprachen, von einer ihnen gegenüber feindlichen Arbeitsatmosphäre berichteten. Das männlich dominierte Umfeld war den Vorschlägen der Kolleginnen oft aus Prinzip verschlossen.
Besonders prägnant wurde dies zum Beispiel bei der Bekämpfung der RAF. Da in der RAF-Führungsriege viele Frauen tätig waren, fiel es den männlichen Geheimdienst-Mitarbeitern oft schwer, deren Denkmuster und Vorgehensweise ausreichend zu analysieren. Wiederholt wären aber die analytischen Änderungsvorschläge der weiblichen Geheimdienst-Mitarbeiterinnen auf taube Ohren gestoßen. Hier sei viel Potenzial verschenkt worden, so das Resümee der Autoren, dem sich Ex-Agent Conrad vorbehaltlos anschloss.
Bei ihrer Recherche fiel den Autoren zudem eine interessante Diskrepanz auf: Während den Frauen intern nicht viel zugetraut wurde, warnten dagegen Leitfäden immer wieder vor der Spitzfindigkeit und Raffinesse des weiblichen Geschlechts auf feindlicher Seite…
Mittlerweile hätten sich die Bedingungen für Frauen allerdings geändert. In einigen Geheimdiensten säßen bereits Frauen in Führungspositionen. Grundsätzlich sei es aber noch ein langer Weg zu einer vollständigen Gleichberechtigung bei den Diensten. Vielleicht bietet das Buch einen Anreiz, aus der Geschichte zu lernen.
Die nächste Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum am 10. November 2022 beleuchtet rätselhafte Fälle der deutschen Geschichte. Bestsellerautor Ralf Langroth berichtet von seinen Recherchen zu den großen Skandalen Nachkriegsdeutschlands.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 08.11.2022