Es ist eines der grausamsten Kapitel der Geheimdienst-Geschichte des Kalten Kriegs. Der rumänische Geheimdienst Securitate initiierte ab 1949 ein brutales Programm zur „Umerziehung“ Oppositioneller. Dabei wurden Häftlinge gezwungen, ihre eigenen Zellengenossen zu erniedrigen und zu foltern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Besetzung Rumäniens durch die Rote Armee übernahm die Rumänische Kommunistische Partei die Macht im Land. In den Jahren 1947-1949 folgte eine Verhaftungswelle gegen kritische Oppositionelle, zu denen auch zahlreiche Studenten gehörten. Sie wurden zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Um die Macht im Land zu zementieren, gründete die rumänische Regierung am 30. August 1948 den Geheimdienst Securitate (Departamentul Securității Statului, dt. Abteilung für Staatssicherheit). Der Securitate-Offizier Alexandru Nicolschi initiierte schließlich ein Programm zur Umerziehung der inhaftierten Oppositionellen zu überzeugten Kommunisten.
Das Programm startete am 6. Dezember 1949 im Gefängnis von Pitești in Süd-Rumänien. Aus diesem Grund erhielt das Umerziehungsprogramm später den Namen Pitești-Experiment. Das Gefängnis von Pitești wurde auch deswegen gewählt, weil es außerhalb der Ortschaft lag und Folterschreie daher nicht auffallen würden.
Zur Umsetzung des Programmes bediente sich Nicolschi einer Gruppe von Häftlingen um den Studenten Eugen Țurcanu, Gründer eines Vereins namens ODCC (Organisation von Gefangenen mit kommunistischer Überzeugung). Die Gruppe um Țurcanu zettelte zu Beginn einen Konflikt mit anderen Häftlingen an und sorgte dafür, dass diese tagelang mit Schlägen misshandelt wurden.
Zwischen diesen Brutalitäten führte Țurcanu gezielt Umerziehungsmaßnahmen aus. Dazu gehörte, dass die Gefangenen sowohl vermeintliche eigene Vergehen gestehen als auch Mitgefangene und Wärter denunzieren sollten. Um Identität und Moral der Gefangenen zu zerstören, hatten sie allen bisherigen familiären oder freundschaftlichen Bindungen abzuschwören. Zudem mussten sie sich selbst verschiedener Perversionen und Geisteskrankheiten bezichtigen.
Neben den Prügeleien und den Verhören kam es zur Anwendung weiterer Foltermethoden. Dazu zählten neben Schlafentzug auch der erzwungene Verzehr von kochender Suppe oder Exkrementen. Auch mussten (noch) unbeteiligte Häftlinge der Folter tatenlos zuzusehen. Sobald die physischen und psychischen Belastungen des Programms die Moral eines Gefangenen zerstört hatten, wurde dieser selbst zum Täter. Țurcanu zwang diesen, die Methoden selber bei Mitgefangenen anzuwenden.
Die tage- bis monatelang andauernde Folter führte zu mindestens 15 Todesopfern in Pitești. Nachdem im Frühjahr 1951 alle Häftlinge als umerzogen galten, verlegte man sie in andere Haftanstalten, um dort das Programm durchzuführen. Nach einem politischen Machtwechsel kam es allerdings Ende 1951, Anfang 1952 zur Einstellung des Pitești-Experiments.
Bei der anschließenden juristischen Aufarbeitung des Pitești-Experiments ging es der Regierung in erste Linie darum, die Securitate sowie die Kommunistische Partei aus der Schusslinie zu nehmen. Die folternden Häftlinge wurde als Mitglieder der faschistischen Bewegung Eiserne Garde dargestellt.
Laut Anklage hatten Țurcanu und 22 Mitstreiter in Pitești und den anderen Gefängnissen über 30 Häftlinge getötet und 780 Gefangene gefoltert. Im November wurden die Angeklagten zum Tode verurteilt, Țurcanus Hinrichtung fand am 17. Dezember 1954 statt.
Im gleichen Jahr wurden mehrere Gefängnis-Offiziere wegen „mangelnder Aufmerksamkeit“ zu mehrjähriger Zwangsarbeit verurteilt. Hochranginge Geheimdienstmitarbeiter wurden nicht belangt. Die Umstände um das Pitești-Experiment blieben der Öffentlichkeit lange unbekannt. Die rumänische Regierung ordnete eine strikte Geheimhaltung zu den Ereignissen an.
Erst vereinzelte Zeitzeugen-Berichte und schließlich die rumänische Revolution 1989 sorgte dafür, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung erfolgte, die weitere Einzelheiten ans Licht brachte.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 06.12.2022