Kam der wahre Agent 007 gar nicht aus den Reihen des MI6, sondern fand sich bei der Stasi? Günter Grässler, Agent beim Auslandsgeheimdienst der DDR, enthüllt dieses und weitere Geheimnisse aus dem Kalten Krieg in seiner neuen Autobiografie. Am 9. Mai 2023 stellte er sie im Deutschen Spionagemuseum vor.
Zusammen mit Moderator Helmut Müller-Enbergs gab Grässler an diesem Abend Einblicke in seine gerade erschienene Autobiografie Doppelnullagent Nr. 7 Ost – Im Dienst der Militärspionage des MfS. Dabei hatte Grässler zu Beginn seines Berufslebens gar nicht an eine Tätigkeit bei einem Geheimdienst gedacht.
Während seines Studiums der Forstwirtschaft wurde er überraschend von zwei Kommilitonen angeworben, für die Hauptverwaltung A (HV A), den Auslandsgeheimdienst der DDR, zu arbeiten. Bewerben konnte man sich damals bei der HV A nicht, man wurde ausgesucht, so Grässler. Eigentlich sei er kein Muster-Sozialist gewesen und habe auch keinerlei Vorerfahrung als Agent gehabt, doch die Kommilitonen hätten wohl Potenzial bei ihm erkannt.
Seinen Arbeitsplatz fand er ab 1973 in der Abt. IV, der militärischen Aufklärung der HV A. Seine Aufgabe: Kontakte zu Personen im Westen herstellen und diese im besten Falle für eine Mitarbeit zu gewinnen. Dabei ging es vor allem um Quellen im westdeutschen Verteidigungsministerium oder um Nato-Dienststellen.
Die Realität des Agentendaseins habe allerdings wenig mit dem eines James Bond gemein, wie Grässler feststellte. Dies sei auch für fast alle Tätigkeiten von Nachrichtendiensten in Ost und West festzuhalten. Statt rasanter Verfolgungsjagden und Frauengeschichten seien vielmehr akribische Recherche und langfristige Perspektiven die Methoden gewesen, um als Führungsagent Quellen zu gewinnen und zu halten.
Einer ersten vorsichtigen Kontaktaufnahme mit potenziellen neuen Quellen folgte die schrittweise Einführung nachrichtendienstlicher Elemente. Der für eine Zusammenarbeit nötige Aufbau freundschaftlicher Beziehungen brauchte viel Zeit – bei einem zu schnellen Vorgehen konnte es laut Grässler passieren, dass man die Zielperson verschreckte. Ging alles zu glatt und schnell vorwärts, war Vorsicht geboten! Immer drohte auch die Gefahr, dass man an einen Mitarbeiter des feindlichen Geheimdienstes geraten war und die eigene Tarnung aufflog.
Die Tätigkeit erforderte ein komplexes Doppelleben, welches zuweilen bürokratische Kuriositäten mit sich brachte. Da er einen offiziellen zweiten Ausweis besaß, musste er unter anderem zweimal bei Wahlen zum Wahllokal gehen, um auch für seine Scheinidentität zu wählen. Im Osten wurden Nicht-Wähler registriert, dies hätte ungewollte Aufmerksamkeit auf Grässler gelenkt.
Als eine seiner größten Erfolge beschrieb Grässler, dass es ihm gelang, eine Quelle im Bonner Innenministerium mit dem Decknamen „Beck“ zu rekrutieren. Unter anderem lieferte dieser wertvolle Daten des Auslandszentralregisters, unter denen sich Hinweise zur Arbeit des BND befanden.
Grässler blieb bis zur Auflösung der HV A im Jahr 1990 aktiv und gehörte sogar zu den letzten 250 Mitarbeitern des Geheimdienstes. Hier findet sich auch der Grund für die im Titel der Biografie erwähnte Dienstnummer 007: Die Mitarbeiter des letzten HV A-Aufgebots erhielten spezielle Ausweise und Grässler eben genau jenen mit der Nummer des wohl berühmtesten – aber fiktiven – Agenten der Welt.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 22.06.2023