Nachdem wir uns in zwei Teilen mit der Geschichte der Geheimtinten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigt haben, folgt nun der dritte und letzte Teil zu Geheimtinten ab dem 20. Jahrhundert. In den Weltkriegen und im Kalten Krieg erlebten Geheimtinten eine letzte Hochzeit. Doch auch im 21. Jahrhundert wird weiterhin an Geheimtinten geforscht.
Trotz der zahlreichen beschriebenen Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Geheimtinten fand auch die uralte Methode mit dem Zitronensaft immer noch Verwendung . 1915 nahmen britische Spionageabwehragenten einen Kader verdeckter deutscher „Lemon Spies“ in Großbritannien fest. Diese hatten ihre Informationen „in Zitrone“ an das Vaterland weitergeleitet.
Eine belastende Zitrone – die im Prozess gegen die Spione als Beweismittel diente – befindet sich bis heute in den British National Archives. Die Frucht hat ihre ursprüngliche Form und Farbe allerdings stark eingebüßt. Sie ist schwarz und auf die Größe einer Walnuss geschrumpft.
Neben dem Einsatz solch antiker Geheimtintenmethoden ging auch die Entwicklung neuer Tinten in jener Zeit weiter voran. 2011 gab die CIA einige Dokumente frei, die Einblicke in die im Ersten Weltkrieg genutzten Geheimtinten gaben. Darunter fanden sich Anleitungen zu deutschen Geheimtinten, die auf handelsüblichen Medikamenten wie Pyramidon und Aspirin basierten. Zudem zeigten die Dokumente, wie sich diese Geheimtinte mit einer Mischung aus Alkohol, destilliertem Wasser, Kaliumnitrat, Essigsäure und Tetrachlorkohlenstoff wieder sichtbar machen ließen.
Auch die berühmteste Agentin jener Zeit nutzte Geheimtinten: Mata Hari wurde in der Agentenausbildung in der Nutzung von Geheimtinten unterwiesen. Bei ihrer Verhaftung durch die Franzosen hatte sie ein geheimnisvolles Fläschchen dabei, bei dem es sich vermutlich um Geheimtinte handelte.
Bestimmte Geheimdienstabteilungen spezialisierten sich auf die Entwicklung neuer Geheimtinten, während andere daran arbeiteten, Geheimschriften des Gegners ausfindig zu machen. Eine der größten Aktionen in dieser Hinsicht führten Amerikaner und Briten im Zweiten Weltkrieg durch. Gewaltige Mengen an Postsendungen wurden routinemäßig auf verdächtige Hinweise wie Geruch oder Textur untersucht sowie mit Jod und Ammoniak bedampft.
Mit diesen Verfahren ließen sich vor allem viele aus Tabletten hergestellte Geheimtinten ausfindig machen, ebenso solche mit dem beliebten Bestandteil Kupfersulfat. Neben den erwähnten Kopfschmerztabletten ließen sich auch Pillen gegen Magenbeschwerden und Verstopfung zu Geheimtinten mischen.
Für Spione und Geheimdienste war es stets eine Gratwanderung: Entweder sie verwendeten hochkomplexe Tinten, die sich mit den gängigen Methoden nicht auffinden ließen. Das bedeutet aber, dass die Geheimtinten sehr kompliziert herzustellen waren, sodass die Agenten oft gezwungen waren, verräterische Substanzen mitzuführen. Auch wenn diese Substanzen in Alltagsgegenständen wie Parfüms versteckt waren, bestand doch die Gefahr der Entwarnung. Alternativ stellte man die Tinten aus unverdächtigen Substanzen wie Tabletten her. Dadurch war der Agent besser geschützt, aber seine Nachricht leichter zu finden.
Um die Gefahr einer Enttarnung zu reduzieren, nutzten Geheimdienste im Kalten Krieg oft spezielle „trockene“ Verfahren. Diese stehen im Gegensatz zu herkömmlichen nassen Verfahren, bei denen mit feuchter Tinte geschrieben wird. Das Ziel war es, dass Agenten keine verdächtigen Ampullen für die Geheimtinte mit sich führen mussten. Dazu wurden stoffliche Alltagsgegenstände wie Schals in die Geheimtinte getaucht und nahmen diese auf. Nach dem Trocknen konnte der Agent den Gegenstand dann unauffällig mit sich führen.
Um eine Geheimnachricht zu schreiben, legte der Agent das Dokument, auf das er die Nachricht aufbringen wollte, auf einen Tisch. Er bedeckte dieses mit dem getränkten Stoff. Anschließend pauste er die Nachricht auf das untere Papier durch, wie bei einem Durchschlagpapier. Der Agent musste so keine verräterischen Ampullen mit sich herumtragen. Zudem war die Menge an Substanz auf dem Papier deutlich geringer als bei nassen Verfahren und somit schwerer zu entdecken.
Vermehrt kam es nun auch zu Entwicklungen von Geheimtinten, die nicht mit anderen Chemikalien, sondern mit UV-Licht sichtbar wurden. Diese Methode der Sichtbarmachung funktioniert prinzipiell auch bei den simplen Tinten aus Obstsaft, die Stärke beinhalten. Moderne UV-Verfahren sind allerdings chemisch komplexer aufgebaut.
Schon im Kalten Krieg lösten andere steganografische Verfahren, etwa der Mikropunkt, die Geheimtinte immer mehr ab. Mit diesen neuen Verfahren ließen sich detaillierte Informationen transportieren, die mit Geheimtinte sehr viel Platz beansprucht hätten. Sowohl Geheimdienste als auch Privatpersonen greifen gegenwärtig vor allem auf digitale Verschlüsselungsmethoden zurück.
Im zivilen Bereich jedoch gibt es regelmäßig Anwendungen moderner Geheimtinten. Zum Beispiel finden sich vielerorts UV-Markierungen an Gegenständen zur Identifizierung bei Diebstählen. Auch Geldscheine werden zur Prüfung der Echtheit mit UV-Markierungen versehen.
Die Forschung und Entwicklung an neuen Geheimtinten geht nichtsdestotrotz weiter: Ein ehemaliger britischer Geheimdienstler berichtete Anfang des 21. Jahrhunderts von einer noch aktiven geheimdienstlichen Arbeitsgruppe mit Namen TS/SW (Technical Support/Secret Writing), die sich speziell mit modernster Geheimschrifttechnik beschäftigt.
2017 stellten chinesische Forscher der Universität Shanghai eine neu entwickelte Tintenvariante vor. Diese lässt sich mehrmals sichtbar und wieder unsichtbar machen. Die Tinte besteht aus metall-organischen Gerüsten auf Blei-Basis und bleibt unsichtbar, bis sie mit Halogenid-Salzen in Kontakt kommt und anschließend mit UV-Licht bestrahlt wird. Durch Methanol wird die Tinte wieder unsichtbar.
Die Beispiele zeigen: Geheimtinten sind im Spionagebereich sicherlich stark aus dem Gebrauch gekommen. Ganz verschwunden sind sie aber bis heute nicht.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 30.08.2024