Rückblick: True Crime – Die Sucht nach Verbrechen

Der Boom von True Crime-Geschichten in unterschiedlichsten Formaten – Bücher, Podcast, TV-Serien – ist gewaltig. Warum das so ist und welche Auswirkungen das auf die Nutzer haben kann, zeigte Autor Christian Hardinghaus am 20. März 2025 im Deutschen Spionagemuseum.

Neue Publikation zum Thema True Crime

Anlass der Veranstaltung war die Publikation Die Sucht nach Verbrechen. Wie Internetdetektive in True Crime Fällen ermitteln des Autors und Medienwissenschaftlers Christian Hardinghaus. Im Gespräch mit der Journalistin Annette Nenner erklärte Hardinghaus, dass True Crime ein absolutes Medienphänomen ist alleine deshalb lohne es, sich damit wissenschaftlich zu beschäftigen.

Mit einer einfachen Definition, was genau denn True Crime ist, tat sich Hardinghaus allerdings schwer. Es sei ein literarisches Genre mit der Basis in der Realität, also non-fiktional, bediene sich aber auch fiktiver Elemente. Man müsse also zumindest von einem Hybrid-Genre sprechen. Inhalt seien weniger Alltagsverbrechen, sondern vor allem brutale Verbrechen wie Serienmorde.

Annette Nenner und Christian Hardinghaus im Gespräch auf der Bühne im Deutschen Spionagemuseum
Annette Nenner im Gespräch mit Christian Hardinghaus

Medienübergreifend und weltweit hat sich das True Crime-Genre in den letzten Jahren zu einem der beliebtesten Genres entwickelt. Am ausgeprägtesten war diese Entwicklung schon immer in den USA zu beobachten. Aktuell würde vor allem das Format Podcast genutzt, aber auch auf Streaming-Plattformen ist das Genre mittlerweile unverzichtbar. Das alles mache True Crime zu einem „kulturellen Giganten“, so Hardinghaus.

Woher kommt der aktuelle True Crime-Boom?

Unter den Konsumenten von True Crime finden sich vor allem Frauen. Hardinghaus vermutete, dass dies damit zusammenhänge, dass diese in der Regel empathiefähiger seien als Männer. Oft wollen sie verstehen, was Menschen antreibt, derart grausame Dinge zu tun. Männer dagegen würden oft eher Sachthemen bevorzugen.

True Crime sei für die Konsumenten aber laut Hardingshaus mehr als nur Genuss und Ablenkung vom Alltag. Vielen gehe es auch darum, aus den geschilderten schrecklichen Erfahrungen anderer zu lernen, ohne diese selbst durchleben zu müssen. Es sei erwiesen, dass Konsumenten von True Crime vermehrt in häusliche Sicherheit investieren oder etwa einen Selbstverteidigungskurs absolvieren. True Crime könne so helfen, dass Personen gefährliche Situationen rascher erkennen und dementsprechend handeln.

Aber das True Crime-Genre führe bei einigen Konsumenten auch zu teils drastischen Überreaktionen. Dabei kommt es Hardinghaus zufolge zu einer zwanghaften Beschäftigung mit dem Thema, die in der Obsession ausarte, auf jeden noch so unwahrscheinlichen Fall vorbereitet zu sein. Das könne sich bis zur Paranoia steigern, sodass man in jeder Situation das Schlimmste befürchte. Diese übersteigerte Sorge führe oft zu einem schlechteren Sozialverhalten und könne psychische Probleme verursachen.

Internet-Phänomen: Websleuthing

Ein verwandtes Phänomen, auf das Hardinghaus ebenfalls in seinem Buch eingeht, ist das Websleuthing (deutsch: Internetdetektivarbeit). Diese Personen sind von ungelösten Fällen besessen. Sie sammeln laut Hardinghaus Hinweise aller Art und wollen so die ausstehende Gerechtigkeit wiederherstellen. Fälle gibt es genug: In den USA seien ca. 30.000 Morde ungeklärt.

Das Ziel sei es, Ermittlungsfehler aufzudecken und so eine Kontrollfunktion zu der aus ihrer Sicht fehlerhaften polizeilichen Arbeit auszuüben. Aus der Bewegung habe sich unter anderem das Doe Network entwickelt, ein Freiwilligennetzwerk, dass mit Behörden zusammenarbeite. Da die Internetdetektive keine Ausbildung oder Fachkompetenz haben, setzen sie auf Crowdsolving, also Schwarmwissen. Dabei tragen viele Personen mit unterschiedlichsten Expertisen einen kleinen Teil zum großen Ganzen bei.

Annette Nenner und Christian Hardinghaus im Gespräch auf der Bühne im Deutschen Spionagemuseum

Wie zweischneidig sich die Eimischung dieser Hobbydetektive auswirken kann, habe sich laut Hardinghaus bei der aktuellen Netflix True Crime-Serie American Murder: Gabby Petito gezeigt. Bei diesem Fall um eine vermisste junge Frau in den USA sei es einerseits gelungen, Ermittlungsfehler aufzudecken. Anderseits aber hätten Tausende von Meldungen seitens der Hobbydetektive die Polizei mit zahlreichen falschen Fährten beschäftigt und so die Ermittlungsarbeit erschwert.

Auch wenn dieser prominente Fall ein extremes Beispiel war, verdeutlicht er Hardinghaus zufolge sehr gut sowohl die Chancen als auch Probleme des Websleuthing. Sicherlich wird das Phänomen in Zukunft an Bedeutung gewinnen.


Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 11.04.2025