Schon vor Edward Snowden kam es durch Whistleblower immer wieder zu Enthüllungen, die erhebliche politische Auswirkungen nach sich zogen. Zu den herausragenden Beispielen dieser Kategorie gehört die Veröffentlichung geheimer Dokumente des US-Verteidigungsministeriums, der sogenannten Pentagon Papers. Sie veränderte die Wahrnehmung der US-Öffentlichkeit gegenüber dem Vietnamkrieg und trug so maßgeblich zum Ende des Krieges bei.
Der Vietnamkrieg ist bis heute für viele Amerikaner ein Trauma. Er kostete über 58.000 US-Soldaten das Leben. Weit mehr kehrten aus den mit großer Grausamkeit betriebenen Kämpfen mit physischen und psychischen Langzeitschäden zurück. Es war der erste verlorene Krieg der zuvor als unbesiegbar geltenden Supermacht USA.
Das der Konflikt sich nicht wie erhofft rasch beenden lassen würde, war bereits offensichtlich, als man im US-Verteidigungsministerium 1967 damit begann unter dem Namen Report of the Office of the Secretary of Defense Vietnam Task Force eine Militärstudie anzufertigen. Dieser niemals für die Öffentlichkeit bestimmte Bericht, der später unter den Namen Pentagon Papers weltberühmt wurde, enthielt umfangreiche Informationen zur Planung und Entwicklung des Vietnamkriegs. Die 15 hergestellten Exemplare umfassten jeweils über 7.000 Seiten in 47 Bänden. Sie mussten als Top Secret-Dokumente stets unter Verschluss gehalten werden.
Wie aus dem Bericht hervorgeht, war der Krieg von der US-Regierung von langer Hand vorbereitet worden. Dabei kamen verdeckt politische, militärische und auch geheimdienstliche Mittel zu Einsatz. Das erklärte Ziel war es, den fortschreitenden kommunistischen Einfluss in Asien zu bekämpfen. Dabei waren der US-Politik fast alle Mittel recht, unter anderem auch die gezielte Forcierung kriegerischer Auseinandersetzungen. Dies geschah sowohl durch geheime militärische Beratung und Unterstützung verbündeter Länder als auch durch verdeckte Operationen.
Obschon die US-Regierung bereits frühzeitig beschlossen hatte, auch offiziell aktiv in den Krieg einzugreifen, wurde diese Absicht gegenüber der US-Bevölkerung und auch dem US-Kongress jahrelang geheim gehalten und verneint. Schließlich suchte und fand man systematisch ein Grund zur Ausweitung der Kämpfe. Durch einen vorgetäuschten Angriff Nordvietnams im Jahr 1964 gelang es, einen Meinungsumschwung innerhalb der US-Bevölkerung für eine Teilnahme am Krieg zu erzielen.
Neben derartigen Details beinhaltet der Bericht zudem Aussagen darüber, dass die US-Regierung auch dann noch am Krieg festhalten wollte, als die Verluste unter den US-Soldaten stetig stiegen und es sich abzeichnete, dass ein Sieg immer unwahrscheinlicher würde.
Der Militäranalytiker Daniel Ellsberg war Mitarbeiter der Denkfabrik RAND Corporation, die das Pentagon militärisch beriet. Das Unternehmen hatte zwei der 15 Exemplare des Berichts erhalten. Angeregt durch seine Erfahrungen als US-Botschaftsmitarbeiter in Vietnam und die stetig wachsende Friedensbewegung in den USA setzte sich Ellsberg zunehmend kritisch mit dem Krieg auseinander. Schließlich gelangte er zu der Überzeugung, dass die Öffentlichkeit das Recht habe, von den geheim gehaltenen Aktivitäten der US-Regierung zu erfahren, die in den Pentagon Papers beschriebenen werden.
Ab 1969 hatte er den Bericht nach und nach heimlich kopiert. Abschließend spielte er ihn im Sommer 1971 mehreren US-Senatoren und Reportern zu. Am 13. Juni 1971 war es die New York Times, die erstmals Auszüge aus dem Bericht veröffentlichte. Allerdings griff die US-Regierung unter Präsident Richard Nixon anschließend massiv in die Rechte der Pressefreiheit ein. Sie unterband gerichtlich weitere Veröffentlichungen im Auftrag der „nationalen Sicherheit“. Ellsberg übergab die Dokumente daraufhin an weitere Zeitungen und wenige Tage später begann die Washington Post mit der Veröffentlichung. Der folgende Rechtsstreit mit der US-Regierung zur Unterbindung weiterer Veröffentlichungen landete schließlich vor dem Obersten Gerichtshof der USA.
Ellsberg trieb nicht nur die Veröffentlichung in den Zeitungen aktiv voran. Er überzeugte schließlich auch den US-Senator Mike Gravel, Teile des Berichts im US-Senat vorzutragen – vor einem thematisch völlig zusammenhangslosen Unterausschusses für öffentliche Bauten. Als Gravel nach einigen Stunden Vortrag die letzte anwesende Person des Ausschusses war, konnte er als einzig Stimmberechtigter entscheiden, dass über die Hälfte des Berichts in das Protokoll des Kongresses aufgenommen und damit „offiziell“ wurde.
Am 30. Juni 1971 entschied der Oberste Gerichtshof der USA, dass die Veröffentlichungsverbote des Berichts auf Grundlage der Verfassung nicht zu rechtfertigen seien. Die Richter stärkten damit das Recht der Presse, Täuschungen des Staates aufzudecken. Außerdem stellten sie fest, dass die Geheimhaltungsinteressen des Staates im Zweifelsfall hinter dem Interesse der Öffentlichkeit zurückstehen müsse.
Die Zeitungen waren nicht die einzigen, die den Zorn der amerikanischen Regierung zu spüren bekamen. Um den Whistleblower Ellsberg zu diskreditieren, brachen CIA- und FBI-Agenten auf der Suche nach pikanten Details in der Krankenakte bei dessen Therapeuten ein. Dieser Versuch war ebenso erfolglos wie eine Anklage wegen Geheimnisverrat. Sie musste eingestellt werden, als bekannt wurde, dass das FBI Ellsberg ohne Gerichtsbeschluss abgehört hatte.
Ellsberg blieb seiner Haltung treu und engagierte sich auch in den kommenden Jahrzehnten politisch wie gesellschaftlich. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem wurde ihm 2006 der alternative Nobelpreis, der Right Livelihood Award, verliehen.
Die Friedensbewegung erhielt durch die Veröffentlichung der Pentagon Papers enormen Zulauf. Der gewaltige Meinungsumschwung gepaart mit dem enormen Vertrauensverlust gegenüber der US-Regierung hatte großen Anteil daran, dass der Krieg wenige Jahre später beendet wurde. Vor 10 Jahren erst veröffentlichte die US-Regierung den Bericht anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der ersten Offenlegung der Pentagon Papers vollständig und ungeschwärzt.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 13.06.2021