Am 08. Mai 1945 wurde in Karlshorst, einem Ortsteil von Lichtenberg, Geschichte geschrieben. Hier, im Berliner Osten, genauer gesagt im Kapitulationssaal des heutigen Museums Berlin-Karlshorst, unterzeichneten die Vertreter der deutschen Wehrmacht vor den Vertretern der alliierten Siegermächte den Kapitulationsvertrag und besiegelten damit das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. In Karlshorst begann nun ein neues historisches Kapitel. Während den folgenden Jahren wurde der Ort zu einem Hotspot der sowjetischen Aktivitäten in Berlin. Wie es dazu kam und was einige der bekanntesten Spione mit Karlshorst zu tun hatten, darauf wollen wir hier näher eingehen. Doch zunächst einmal zurück an den Anfang…
Das Gebäude, in dem sich heute das Museum Berlin-Karlshorst befindet (früher Deutsch-Russisches Museum), wurde 1936 von den Nationalsozialisten errichtet und sollte zweckmäßig als Pionierschule dienen (“Hochschule der Pioniere”). Am 01. April 1937 begann dort der Lehrbetrieb für Unteroffiziere und Offiziere. Niemand von ihnen konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass genau an diesem Ort, acht Jahre später, Weltgeschichte geschrieben werden sollte.
Am 23. April 1945 besetzte die sowjetische Armee die Pionierschule. In der Folge wurde hier das Hauptquartier der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) eingerichtet. Von dort aus koordinierte man schließlich die Einnahme und Befreiung Berlins.
Die deutsche Wehrmacht kapitulierte eigentlich schon am 07. Mai 1945 in Reims bedingungslos. Stalin jedoch war misstrauisch und befürchtete ein doppeltes Spiel der westlichen Alliierten. Bei dem Text der Kapitulationsurkunde, welcher in Reims zur Unterzeichnung vorgelegt wurde, handelte es sich lediglich um eine gekürzte Version. Deshalb verlangte Stalin eine Wiederholung der Zeremonie in Berlin mit dem originalen Text. Diese sollte dann am 08. Mai 1945 stattfinden.
Da in Berlin zahlreiche Gebäude durch den Krieg zerstört wurden, standen nicht viele geeignete Austragungsorte zur Auswahl. In Karlshorst hatte die Zerstörung nicht ganz so schlimme Ausmaße angenommen und daher fiel die Wahl auf das hiesige Offizierskasino der Pionierschule. Man räumte die Straßen von Schutt und Asche und hing Fahnen für die Zeremonie auf, die um 14:00 Uhr stattfinden sollte.
Doch die endgültige Einigung erfolgte erst spät am Abend, da die Alliierten noch lange über den Text des Kapitulationsvertrags diskutierten. Daraufhin ging alles sehr schnell und nachdem die Vertreter der Siegermächte einverstanden waren, erfolgte die Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde innerhalb einer Stunde. Somit endete im Offizierskasino in Karlshorst in der Nacht vom 08. zum 09. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endete aber keineswegs auch die sowjetische Geschichte in Karlshorst. Bis 1949 war ein Teil Berlin und damit auch Karlshorst Teil der Sowjetischen Besatzungszone. “Karlowka”, wie die russischen Soldaten “ihr” Karlshorst früher nannten, wurde Zentrum eines riesigen Sperrbezirks.
Von 1945 bis 1949 hatte zunächst die SMAD ihren Sitz im Gebäude der ehemaligen Pionierschule. Von der Lage her war Karlshorst perfekt. Wie erwähnt, waren die Häuser dort während des Kriegs nur geringfügig zerstört worden. Mit dem Einzug der Russen mussten viele Menschen ihre Wohnungen und Häuser verlassen. Unter Anleitung der SMAD, die sich im Kasernenkomplex und dem umliegenden Villenviertel einrichtete, wurde von hier aus die politische Infrastruktur der DDR aufgebaut. Im Volksmund sprach man daher auch vom “Berliner Kreml”.
1946 verlegte man das Hauptquartier der SMAD nach Wünsdorf in Brandenburg. Ziel war es, den neuen Standort zum größten militärischen Stützpunkt der Sowjetischen Besatzungszone auszubauen.
Die SMAD bestand bis zur Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Am 10. Oktober 1949 wurde im ehemaligen Kapitulationssaal die Verwaltungsfunktion an die DDR-Regierung übergeben und im selben Zug die SMAD aufgelöst. Als Nachfolgeorganisation gründete man die Sowjetische Kontrollkommission (SKK), später umbenannt zur Hohen Kommission der UdSSR in Deutschland. Diese nutzte das Gebäude bis 1954. Von Karlshorst aus konnte Moskau die weiteren Entwicklungen in der DDR überwachen und analysieren. Zudem hatten sie die Möglichkeit, bei Bedarf regulierend und steuernd einzugreifen.
Die Pionierschule war inzwischen der Mittelpunkt des Karlshorster Sperrgebiets, auch “Klein-Moskau” genannt. So war es nicht überraschend, dass die Kaserne ab 1953 vom russischen Geheimdienst KGB als Zentrale genutzt wurde. Es sollte die weltweit größte KGB-Zentrale außerhalb der Sowjetunion werden. Von dort aus wurden zahlreiche Spione und Doppelagenten angeleitet sowie eine Vielzahl an unterschiedlichen nachrichtendienstlichen Aktivitäten geplant und koordiniert.
Der KGB war jedoch nicht der einzige sowjetische Geheimdienst in Karlshorst. Direkt auf dem Nachbargrundstück hatte der militärische Geheimdienst GRU Station bezogen. Allerdings misstrauen sich die sowjetischen Geheimdienste auch untereinander. Aus diesem Grund wurde zwischen beiden Grundstücken eine meterhohe Mauer gebaut.
Vor dem Bau der Mauer versuchten die sowjetischen Geheimdienste in den 1950er-Jahren mit zahlreichen aggressiven Aktionen gegen Gegner in West-Berlin vorzugehen. Ein Höhepunkt wurde erreicht, als im Juli 1952 Walter Linse auf offener Straße im amerikanischen Sektor von sowjetischen Geheimagenten entführt wurde.
Walter Linse war Chef der Wirtschaftsabteilung im West-Berliner Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen (UFJ), einer Menschenrechtsorganisation, die unter anderem das Ziel verfolgte, rechtswidrige Zustände in der DDR aufzudecken. Nachdem er zunächst mit dem Auto nach Ost-Berlin in ein Stasi-Gefängnis kam, verhörte man ihn dort bis Dezember 1952. Anschließend wurde er in die Karlshorster KGB-Zentrale verlegt, wo seine Vernehmungen bis Juni 1953 andauerten. Schließlich kam er nach Moskau und ein Militärgericht verurteilte ihn dort zum Tode. Am 15. Dezember 1953 wurde er hingerichtet.
Die sogenannte “Operation Gold” war eine der aufsehenerregendsten Spionageaktionen der amerikanischen CIA und des britischen MI6 in Berlin. Dahinter verbarg sich eine aufwendige Abhöraktion der westlichen Geheimdienste. Die britischen und amerikanischen Geheimdienste planten und bauten zwischen August 1954 und Februar 1955 einen geheimen Tunnel, um Telefonleitungen des sowjetischen Militärs anzuzapfen. Ab 1955 konnten die westlichen Agenten über 400.000 Telefonate mithören und aufzeichnen. Es schien so, als wären die Westalliierten den sowjetischen Geheimdiensten einen Schritt voraus. Doch der Schein trog…
Schon bevor der Tunnel überhaupt gegraben wurde, wussten sowjetische Geheimdienste über das Projekt der Amerikaner und Engländer Bescheid. Der Doppelagent George Blake vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6 hatte die Pläne bereits 1954 an Moskau verraten. Das brachte den KGB in einen Zwiespalt: Sollte man den Tunnel verhindern und eine Enttarnung des eigenen Mannes im britischen Geheimdienst riskieren?
Tatsächlich entschied man sich in Moskau dafür, die Operation laufen zu lassen. Für ganze elf Monate. Dann ließ die Führung der Sowjetunion den Tunnel “zufällig” am 22. April 1956 bei Tiefbauarbeiten entdecken. Anschließend setzte sie die Enttarnung propagandistisch ein, um der Weltöffentlichkeit das aggressive Vorgehen westlicher Geheimdienste zu präsentieren.
In der Karlshorster KGB-Zentrale ließ sich ein weiterer erfolgreicher KGB-Spion verpflichten: Heinz Felfe. Er galt während des Kalten Kriegs als der erfolgreichste Doppelagent, der für Moskau Informationen des westdeutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) verriet. Das Vertrauen seiner BND-Vorgesetzten erwarb Felfe mitunter dadurch, dass er vom KGB sogenanntes “Spielmaterial” erhielt. Dieses präsentierte er dem BND als Erfolg, so beispielsweise auch einen Plan der KGB-Zentrale Karlshorst. Als “Spielmaterial” bezeichnen Geheimdienste Informationsmaterial, das scheinbar wertvoll aussieht, aber inhaltlich nichts liefert oder sogar Falschinformationen enthält. Ziel des Ganzen ist, dass die feindlichen Geheimdienste dadurch ihre Zeit verschwenden oder in die Irre geführt werden.
Während seiner Zeit als Doppelagent beim BND machte Felfe dort Karriere und erhielt mit jeder neuen Position Einblicke in weitere Geheimdokumente. Dadurch gewann er unter anderem wertvolle Einblicke in CIA-Operationen, da der US-Geheimdienst eng mit dem BND zusammenarbeitete. So konnte Felfe auch zahlreiche CIA-Agenten verraten, unter anderem einen CIA-Maulwurf in Karlshorst.
Beim BND nahmen die Folgen seiner verräterischen Tätigkeiten katastrophale Ausmaße an. Als ranghoher Mitarbeiter der BND-Spionageabwehr gegen die Sowjetunion war Felfe in der Lage, zahlreiche BND-Operationen zu verraten und die Arbeit des BND so massiv zu behindern. Das Ansehen des BND litt unter den Konsequenzen, da Felfe unter anderem wichtige Führungsoffiziere des BND und zahlreiche Auslandsagenten enttarnte. Das führte unweigerlich zum Vertrauensverlust bei Politikern, Amerikanern und anderen Diensten aus dem Ausland gegenüber dem BND, aber auch intern wuchs das Misstrauen. Im November 1961 flogen Felfes Aktivitäten als Doppelagent im Zusammenhang einer Dienstreise in die USA auf und er wurde verhaftet. Felfes Taschenkalender zu dieser Dienstreise ist als Exponat im Deutschen Spionagemuseum zu sehen.
Auch das Agentenpaar Heidi und Wolfhard Thiel wurden hier zu sogenannten Schläfer-Agenten ausgebildet. Schläfer-Agenten werden in ein Land oder eine Institution eingeschleust und bleiben dort inaktiv (spionagetechnisch also im Schlafzustand), bis sie situationsbedingt aktiv werden.
Das Ehepaar Thiel erhielt seine Ausbildung in Berlin und Moskau und wurde in den 1980er-Jahren in die USA eingeschleust. Dort bauten sie sich in New York ein unauffälliges Leben auf. Ihre Aufgabe war es, sofern der Kalte Krieg eskalieren sollte, die dortigen Netzwerke des KGB aufrechtzuerhalten. Auch wenn die Thiels nie aktiviert wurden, können sie den Besuchern des Deutschen Spionagemuseums in dort gezeigten Zeitzeugeninterviews doch spannende Details von ihrer Ausbildung als KGB-Agenten und der geheimen Einschleusung sowie dem Doppelleben in die USA berichten.
Karlshorst blieb Sperrgebiet, bis sich die russischen Streitkräfte 1994 endgültig zurückzogen. Die Pionierschule ging sodann in den Besitz des Bundes und später in den Besitz des Landes Berlin über. Mittlerweile befindet sich das Gebäude im Privatbesitz. Heute beherbergt das ehemalige Offizierskasino der Pionierschule das Museum Berlin-Karlshorst. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Gebiet stark gewandelt: Alte Gebäude wurden saniert und neue Häuser gebaut. Auf dem ehemaligen Militärgelände ist ein komplett neues Wohngebiet entstanden. Von dem ehemaligen militärischen Hochsicherheitsbereich ist heute nichts mehr zu erahnen.
Karlshorst spielte nicht nur in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle, sondern hatte auch in der Nachkriegszeit und in der DDR eine wichtige geschichtliche Bedeutung. Zunächst endete in der Nacht zum 09. Mai 1945 mit der Unterschrift der Kapitulationsurkunde in Karlshorst der Zweite Weltkrieg in Europa. Anschließend war Karlshorst das Zentrum der Sowjetischen Besatzungszone und von hier aus wurde die politische Infrastruktur der DDR aufgebaut. Vor allem in Sachen Spionage war Karlshorst ein bedeutender Ort, weil die sowjetischen Geheimdienste Stützpunkte in Karlshorst hatten. Zahlreiche sowjetische Spione wurden hier ausgebildet und angeleitet.
Die Sowjetische Militäradministration war nach Ende des Zweiten Weltkriegs das oberste Besatzungsorgan in der Sowjetischen Besatzungszone und damit direkt Josef Stalin und dem Rat der Volkskommissare unterstellt. Die SMAD hatte zunächst von 1945 bis 1946 ihr Hauptquartier in der ehemaligen Pionierschule in Karlshorst. Dann wurde die Militäradministration nach Wünsdorf verlagert, um dort einen gewaltigen sowjetischen Militärstützpunkt aufzubauen. Aufgelöst wurde die SMAD 1949 mit der Gründung der DDR, als Nachfolgeorganisation entstand dann die Sowjetische Kontrollkommission (SKK).
Ab 1953 befand sich die Zentrale des russischen Geheimdienstes KGB in dem Gebäude in Karlshorst, wo einst die Kapitulationsurkunde von den Vertretern der deutschen Wehrmacht und den Siegermächten unterzeichnet wurde. Von hier aus wurden zahlreiche Spionageoperationen gesteuert. Heute befindet sich in dem Gebäude das Museum Berlin-Karlshorst und es lässt nichts mehr darauf schließen, dass es sich einst inmitten eines militärischen Sperrgebiets befand.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich Berlin im Kalten Krieg zur unumstrittenen Hauptstadt der Spione. Nirgendwo trafen die damaligen Großmächte so unmittelbar aufeinander.
Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln sind die Aufgaben eines jeden Museums. Keine dieser Aufgaben ist ohne die Sammlung durchführbar, sie bildet die Grundlage für jede Museumsarbeit.
Mehrmals kam es auf der Glienicker Brücke zwischen Potsdam und Berlin zum Agentenaustausch – seitdem ist sie ein Wahrzeichen für die Spionage im Kalten Krieg. Mehr zur Glienicker Brücke, den auf ihr stattgefundenen Agentenaustauschen und einigen der daran beteiligten Akteure gibt es hier.