Was sind die Motive von Spionen?

Spion ist weder ein klassischer Ausbildungsberuf noch ein Fachstudium. Es existiert kein standardisierter Lehrplan – keine Spionagekarriere gleicht der anderen. Bei sehr vielen Spionen handelt es sich zudem nicht um festangestellte Agenten, sondern um Normalbürger. Diese haben aus unterschiedlichsten Gründen Zugang zu speziellen Informationen und werden so interessant für Geheimdienste. Eine klassische Spionagepersönlichkeit lässt sich also kaum herausdefinieren – wohl aber, warum Personen zu Spionen werden.

Experten haben sich Gedanken darüber gemacht, was genau Menschen in die Spionage treibt und dazu unzählige Spionagefälle analysiert. Dabei herausgekommen sind vier Hauptmotive, die unter dem englischen Akronym MICE zusammengefasst werden. Wir nehmen alle diese Motive unter die Lupe und zeigen Beispiele aus der Spionagegeschichte.

M = Money / Geld: Spion aus Gier

An erste Stelle steht wenig überraschend eines der Hauptantriebe menschlicher Motivation: Geld. Auch wenn es naheliegend erscheint, Spione mit viel Geld für wertvolle Informationen zu bezahlen, so bringt dieses Vorgehen doch einige Nachteile mit sich.

Einmal kann es hierbei immer einen Konkurrenten in Form eines anderen Geheimdiensts geben, der mehr zahlt. Unter Umständen ist es also nicht leicht, bezahlte Spione dauerhaft zu halten. Außerdem verleiten regelmäßige Zahlungen gegen Informationen dazu, dass manche Spione auch etwas liefern, wenn es eigentlich gar keine neuen Informationen gibt. Sie erfinden also Informationen, in dem Wissen, dass sie kein Geld kriegen, wenn nichts geliefert wird.

Aldrich Aimes nach seiner Verhaftung durch das FBI 1994

Ein berühmtes Beispiel für die Motivationsgrundlage Geld ist der CIA-Agent Aldrich Ames. Dieser verriet als Leiter der CIA-Abteilung Gegenspionage UdSSR in den 1980er-Jahren zahlreiche CIA-Geheimnisse an den KGB und kassierte dafür etwa 2,5 Mio. US-Dollar. Er wurde 1994 enttarnt und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Eine ähnliche Position hatte Klaus Kuron im Bundesamt für Verfassungsschutz inne. Sein Hauptaufgabenfeld war die Spionageabwehr gegen das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Ab 1981 verriet er dem DDR-Geheimdienst für etwa 700.000 DM zahlreiche Details seiner Arbeit. Nach seiner Enttarnung 1990 wurde er zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

I = Ideology / Ideologie: Spion aus Überzeugung

Besonders gerne setzen Geheimdienste auf Spione, die aus der Überzeugung heraus handeln, dass sie damit eine gerechte Sache unterstützen. Vor allem in Krisen- und Kriegszeiten gewinnt diese Motivation enorm an Bedeutung. Zahlreichen Personen wurden etwa im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg zu Spionen, um den je nach Sichtweise „bösen Mächten“ Einhalt zu gebieten.

Idealistischer Spion gegen Hitler: Fritz Kolbe

Im Zweiten Weltkrieg etwa versorgte Fritz Kolbe als Beamter im deutschen Auswärtigen Amt die CIA-Vorgängerinstitution OSS mit wertvollen Geheiminformationen. Er entschloss sich zu dieser gefährlichen Spionageaktivität, weil er ein erklärter Gegner des Nationalsozialismus war. Eine finanzielle Gegenleistung lehnte er ab. Nach dem Krieg allerdings verwehrte man ihm eine Weiterbeschäftigung im Auswärtigen Amt, da er als Verräter galt. Erst seit 2004 werden die Verdienste Kolbes als Widerstandskämpfer offiziell gewürdigt.

Internationale Aufmerksamkeit erhielt in den 1950er-Jahren der Prozess gegen die sowjetischen Atomspione Ethel und Julius Rosenberg in den USA. Sie spionierten in der Überzeugung, den Kommunismus im Kampf gegen den Kapitalismus unterstützen zu müssen. Beide wurden zum Tode verurteilt und 1953 hingerichtet.

C = Coercion / Zwang: Spion wider Willen

Nicht alle Spione entscheiden sich aus freien Stücken für einen bestimmten Geheimdienst zu arbeiten. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Personen unter Zwang zur Mitarbeit zu „motivieren“. Oft beinhaltet dies die Drohung, belastendes Material zu veröffentlichen oder an bestimmte Personen weiterzuleiten.

John Cecil Masterman leitete das Double-Cross-System im Zweiten Weltkrieg
[(c) Charlotte and Stephen Halliday]

Der britische MI5 war im Zweiten Weltkrieg mit seinem sogenannten Double-Cross-System sehr erfolgreich. Dabei wurden gefangene deutsche Agenten vor die Wahl gestellt, entweder für den MI6 zu arbeiten oder hingerichtet zu werden. Es verwundert wenig, dass sich die meisten Deutschen dafür entscheiden, fortan als Doppelagenten für die Briten Falschinformationen nach Deutschland zu schicken.

In der DDR waren einige Hotels speziell Besuchern aus dem westlichen Ausland vorbehalten. Oft wurden diese mit spezieller Überwachungstechnik des MfS ausgerüstet. Durch diese ließ sich jeder Schritt der Gäste auf Video aufzuzeichnen. Mitunter wurden diese Gäste gezielt in Honigfallen gelockt, also von weiblichen oder männlichen Lockpersonen vor laufender Kamera verführt. Die verräterischen Aufnahmen ließen sich perfekt als Druckmittel für eine Zusammenarbeit mit dem MfS einsetzen.

E = Ego: der Reiz des Agentenlebens

Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, der Ödnis des Alltaglebens zu entfliehen? Tatsächlich bildet bei einigen Spionen vor allem der Ausblick auf außergewöhnliche und sonst unerreichbare Erfahrungen sowie das Hochgefühl der eigenen Bedeutung den Anlass zur Spionage.

Jack Barsky im Zeitzeugen-Interview für das Deutsche Spionagemuseum

Jack Barsky, der als verdeckter KGB-Agent jahrelang in den USA spionierte, schildert im Zeitzeugen-Interview für das Deutsche Spionagemuseum die Abenteuerlust als eines seiner Hauptmotive. Für den Ostdeutschen Barsky eröffneten sich durch seine Spionagetätigkeit eine Vielzahl an Möglichkeiten, die im Kalten Krieg sonst unerreichbar gewesen wären. Nach seiner Enttarnung kooperierte er mit dem FBI und entging so einer Haftstrafe.

Auch bei Reiner Fülle, der ein unspektakuläres Leben als Buchhalter im Forschungszentrum für Atomenergie in Karlsruhe führte, war es die Abenteuerlust, die ihn dazu brachte, ab den 1960er-Jahren Wirtschaftsspionage für das MfS zu betreiben. Nach seiner Enttarnung gelang ihm die Flucht in die DDR. Dort ließ er sich vom MfS aushalten und begann für den westdeutschen Verfassungsschutz zu spionieren. Nachdem er in die BRD zurückgekehrt war, erhielt er eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren.


Abschließend sei davor gewarnt, jeden Spion fest in eine der vorgestellten Definitionen einsortieren zu wollen. In der Regel handeln Spione aus einem ganzen Bündel an Motivationen. Auch wenn ein Spion aus Überzeugung agiert, ist er zuweilen einer finanziellen Unterstützung nicht abgeneigt und genießt auch den Reiz des Agentendaseins. Doch fast immer lässt sich zumindest eines der genannten Motive als maßgeblich herausarbeiten.

Autor: Florian Schimikowski

Veröffentlicht am: 05.08.2021