Die Guillaume-Affäre gilt bis heute als einer der bedeutendsten Spionagefälle der deutschen Geschichte. Vor 50 Jahren, am 24. April 1974, wurde Guillaume verhaftet. Besondere Brisanz hat die Guillaume-Affäre weniger wegen der Qualität des Spions Günter Guillaume, denn der vermeintliche Top-Agent entpuppt sich bei genauer Analyse als Durchschnittsspion.
Die Spionagekarriere Günter Guillaumes haben wir bereits in einem Blogbeitrag geschildert. Anlässlich des besonderen Jubiläums des 50. Jahrestags seiner Verhaftung liefern wir nun zusätzliche Details und Einblicke zu der Qualität des Spions Guillaume und möglichen Hintergründen.
Nach seiner Enttarnung wurde Guillaume in der DDR-Presse als aufopfernder „Kundschafter des Friedens“ gefeiert. Als Persönlicher Referent und damit einer der engsten Mitarbeiter von Bundeskanzler Willy Brandt war er bis in die höchste Regierungsebene der BRD vorgestoßen. Viele Jahre ging man davon aus, dass ein Spion an dieser Position nur außerordentlich wertvolle Informationen liefern konnte.
Recherchen in den Datenbanken des MfS offenbaren allerdings Details zur Quantität und Qualität von Guillaumes Spionagetätigkeit, die eine andere Sprache sprechen. Während seiner Zeit im Kanzleramt übermittelte Guillaume demnach weniger als 50 Informationen. Echte Geheiminformationen waren nicht dabei. Der Großteil beschäftigte sich mit internen Details zur SPD, einige zudem mit der Regierungspolitik und weitere mit Gewerkschaftsfragen.
Die Bewertung der Informationen ihrer Agenten durch die DDR-Auslandspionage HV A erfolgte nach einem Notensytsem wie in der Schule: 1 = sehr wertvolle Informationen bis 6 = unbrauchbar. Guillaume schnitt hier nur mittelmässig ab: Die meisten seiner Informationen erhielten als Bewertung eine „3“, einige zumindest eine „2“, keine einzige eine „1“. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass Guillaume sicherlich nicht als Top-Quelle anzusehen ist.
Die Meinungen darüber, weshalb Guillaume als Spion sowohl quantitativ als auch qualitativ so wenig lieferte, gehen auseinander. Es könnte sein, dass die HV A in dem Bewusstsein, diesen Agenten in seiner Top-Position nicht zu gefährden, Kontaktaufnahmen und Informationsaustausch auf ein Minimum reduzierte. Vielleicht wollte man warten, bis Guillaume zum Beispiel in einer politischen Krisensituation seinen Wert erst richtig ausspielen konnte.
Es könnte aber auch eine bewusste Entscheidung Guillaumes gewesen sein, Brandt nicht in dem Maße auszuspionieren, wie es möglich gewesen wäre. Bekannt ist, dass Guillaume im Laufe seiner Tätigkeit eine hohe Wertschätzung gegenüber der Person Willy Brandt entwickelte. Er war von der Persönlichkeit und der Politik des Kanzlers sehr angetan. Könnte Guillaume Skrupel entwickelt haben, das Vertrauen des von ihm bewunderten Brandt durch seine Spionageaktivität zu missbrauchen?
Vermutlich belasteten ihn im Nachhinein zudem die politischen Konsequenzen seiner Spionage, die zu Brandts Rücktritt als Kanzler beitrugen. Das zeigt sich auch daran, dass er nach seiner Verhaftung ausdrücklich um eine persönliche Aussprache mit dem Kanzler bat. Es scheint ihm wichtig gewesen zu sein, mit Brandt nach der Enttarnung im gutem Einvernehmen zu stehen. Willy Brandt, der persönlich von Guillaumes Verrat tief getroffen war, verweigerte dies.
Öffentlich hat Guillaume es nie zugegeben, aber es ist anzunehmen, dass ihn sein Anteil am Rücktritt des Kanzlers getroffen hat. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Guillaume-Affäre nicht der einzige Grund für den Rücktritt war – immerhin kam ihr dennoch eine entscheidende auslösende Funktion zu.
Anlässlich des des 50. Jahrestags der Enttarnung wird das Thema Guillaume in den Medien vielfältig aufgegriffen. In der ARD läuft seit heute die Miniserie Willy – Verrat am Kanzler. Weitere Einblicke in die Affäre Guillaume bietet das aktuelle WDR-Zeitzeichen mit einem Historiker des Deutschen Spionagemuseums.
Bilderrechte
Brandt und Guillaume in den frühen 1970er-Jahren: Pelz, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Brandt und Guillaume auf einer Wahlkampfreise: Bundesarchiv, B 145 Bild-F042453-0011 / Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA 3.0
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 24.04.2024