Doppelagenten gehören für Geheimdienste entweder zu den wertvollsten Quellen – oder zu den gefährlichsten Verrätern. Auch wenn technische Spionage im Laufe der Zeit eine Vielzahl an Möglichkeiten entwickelt hat, um in die Arbeit eines feindlichen Nachrichtendienstes einzudringen, die Arbeit einer menschlichen Quelle, die mitten „im Fleisch“ des Feindes sitzt, ist mit Technik nicht aufzuwiegen.
Im Kalten Krieg hatten Doppelagenten und die von ihnen gelieferten Informationen auf beiden Seiten immer wieder erheblichen Einfluss auf den Lauf der Geschichte. Einer von ihnen war Oleg Wladimirowitsch Penkowski. Als er am 22. Oktober 1962 verhaftet wurde, versiegte für die MI6 und CIA eine der wichtigsten Informationsquellen in der Zentrale des Gegners.
Oleg Penkowski arbeitete als Oberst seit 1953 für den sowjetischen militärischen Nachrichtendienst GRU. Seine Laufbahn gestaltete sich vorbildlich, er wurde mit wichtigen diplomatischen Posten betraut. 1960 sollte er als Militärattaché in Indien eingesetzt werden, nachdem er in der gleichen Funktion bereits in der Türkei tätig war. Als sich davor allerdings herausstellte, dass Penkowski die Tätigkeit seines Vaters als Offizier für die Weiße Armee verheimlicht hatte, wendete sich das Blatt.
Die Weiße Bewegung galt als Hauptkonkurrent der letztlich siegreichen Bolschewiki während des russischen Bürgerkriegs. Penkowski hatte diesen Aspekt im Lebenslauf seines Vaters im Hinblick auf seine Karriere wohlweislich verschwiegen, nun zahlte er den Preis. Statt auf einen Militärattaché-Posten wurde er zur Reserve des GRU versetzt.
Mitte 1960 entschloss sich Oleg Penkowski zu einem radikalen Schritt. Er bot dem britischen Auslandsgeheimdienst MI6 und der CIA geheime Informationen über die Sowjetunion an. Die meist auf Mikrofilm gespeicherten Unterlagen übergab er entweder über tote Briefkästen an einen MI6-Agenten in Moskau. Außerdem transportierte er sie auf Reisen als Berater des Staatskomitees für die Koordinierung wissenschaftlich-technischer Arbeiten. In dieser Funktion war er seit Ende 1960 tätig, nach Westeuropa.
Angeblich erfuhr er bereits Anfang August von den Plänen zur Errichtung der Berliner Mauer, allerdings erreichte er den MI6-Agenten in diesem Fall erst zehn Tage später. Vor allem in der Kuba-Krise 1962 beeinflussten die Informationen Penkowskis über den Stand der sowjetischen Rüstung und sein Rat, dem Druck durch die auf Kuba positionierten Raketensystem nicht nachzugeben, das Handeln des US-Präsidenten John F. Kennedy maßgeblich.
Zu den Motiven seines Handelns wurden meist die 1965 erschienen Penkovsky Papers herangezogen, die angeblich Original-Dokumente Penkowskis enthalten. Die Authentizität dieser Quelle ist allerdings nicht 100%ig belegt. In diesen Dokumenten schilderte Penkowski, wie er im Laufe seines Lebens immer mehr begann, an dem System der Sowjetunion zu zweifeln und schließlich zum Gegner der politischen Führung unter Chruschtschow wurde.
Trotz aller Vorsicht schien Penkowskis Tätigkeit aufgefallen zu sein: Ab Anfang 1962 überwachte ihn das KGB. Penkowski bemerkte die Überwachung, doch er stellte die Informationslieferungen nicht ein. Nachdem es dem KGB unter anderem gelang, ihn bei der Nutzung eines toten Briefkastens zu filmen, verhaftete man ihn am 22. Oktober 1962. Nach zweitägigem Prozess wurde Oleg Penkowski im Mai 1963 wegen Hochverrat zum Tode verurteilt und hingerichtet.
In der Forschung gibt es zwei Bewertungen zu Penkowskis Arbeit. Überwiegend wird seine Arbeit als extrem wertvoll für westliche Geheimdienste und Politik bewertet. Erst durch Penkowski wurde klar, dass der Stand der sowjetischen Rüstung längst nicht so weit war, wie in westlichen militärischen Kreisen befürchtet. Einige Historiker vermuteten sogar, dass die Angaben Penkowskis während der Kuba-Krise die Welt vor einem Atomkrieg bewahrt haben, da die USA durch sie die Lage realistisch bewerten konnten.
Einige Historiker allerdings gehen davon aus, dass Penkowski bewusst das Potenzial der sowjetischen Raketen herunterspielte, um den Westen in trügerischer Sicherheit zu wiegen. Sie beanstanden, es sei verdächtig, dass Penkowski kein Geld für seine Dienste angenommen hätte. Zudem habe er nicht die Möglichkeit genutzt, sich in den Westen abzusetzen, als er die Überwachung durch den KGB bemerkte. Laut ihrer Theorie waren Prozess und Hinrichtung vorgetäuscht. Ziel war es, dass sich Penkowski nach erfolgreicher Arbeit auf einen ruhigen Posten zurückziehen konnte.
Ein großes Manko an dieser Theorie: Weshalb sollten die sowjetischen Geheimdienste einen Agenten zurückziehen, der offensichtlich das Vertrauen des MI6 genoss und der noch von immensem Nutzen sein konnte? Auch ein Beweis für den weiteren Lebensweg Penkowskis wurde bis heute nicht erbracht.
Ob Penkowski also wirklich „Des Westens größter Spion“ war, wie das Nachrichtenmagazin SPIEGEL 1965 titelte, ist abschließend schwer zu beurteilen. Generell lassen sich Doppelagenten und ihre vielfältigen Beweggründe kaum mit pauschalen Erklärungsmodellen einordnen.
Im Deutschen Spionagemuseum ist diesem spannenden Kapitel der Geheimdienst-Geschichte nicht nur ein eigener Bereich im Museum gewidmet. In einer aktuellen Sonderausstellung berichten wir zudem derzeit über die USA-Reise eines BND-Agenten, der als Doppelagent für den KGB spionierte. Initiator und Gastgeber der Reise: die CIA. Die Foto-Ausstellung ist bis zum 7. Januar 2018 kostenfrei im Kinosaal des Deutschen Spionagemuseums zu sehen.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 22.10.2017