Nur wenige Personen kennen das operative, aber auch das analytische Geschäft des BND so gut wie Gerhard Conrad. Im Deutschen Spionagemuseum gab der langjährige BND-Agent unterhaltsame Einblicke in seine außergewöhnliche Agentenlaufbahn. Dabei ging es keineswegs nur um die Vergangenheit des Dienstes – auch zur Gegenwart und Zukunft deutscher Geheimdienstarbeit machte sich Conrad Gedanken.
Zum Anlass der Veröffentlichung seiner Biografie Keine Lizenz zum Töten – 30 Jahre als BND-Agent und Geheimdiplomat sprach Gerhard Conrad am 6. Oktober 2022 im Deutschen Spionagemuseum mit dem Politologen Helmut Müller-Enbergs. Das Gespräch machte deutlich, dass dort kein gewöhnlicher Agent auf dem Podium saß, denn eine solche Karriere beim BND lässt sich kaum als Standardlaufbahn bezeichnen.
Schon im Studium sammelte Gerhard Conrad umfangreiche sprachliche und kulturelle Erfahrungen zum arabischen Kulturraum. Als promovierter Islamwissenschaftler entwickelte er sich in seinen 30 Dienstjahren zum hochrangingen BND-Mitarbeiter.
Unter anderem leitete er in diesem Zeitraum verschiedene Residenturen (Damaskus, Beirut, London). Er selbst bezeichnete seine diesbezügliche Tätigkeit als die eines „BND-Botschafters“. In den Jahren 2016 bis 2019 war er zudem Direktor des EU Intelligence Analysis Centre (INTCEN), welches die nachrichtendienstliche Arbeit der EU koordiniert.
Auch im Ruhestand bleibt Conrad aktiv – unter anderem als Berater für die jährliche Münchener Sicherheitskonferenz. So vielfältig wie Conrads Positionen, so facettenreich fiel auch seine Berichterstattung zu seinem Agentenleben aus. Eine besondere Episode umfasste beispielweise den Transport von Tüten mit menschlichen Knochen durch Damaskus im Rahmen von Verhandlungen zwischen Israel und der Hisbollah, bei denen Conrad als Vermittler fungierte. Alle Details zu dieser und weiteren außergewöhnlichen Geschichten finden sich im Buch…
Er wolle mit dem Buch einen Beitrag leisten zur Berichterstattung über die Arbeit des BND und warum Nachrichtendienste notwendig sind, so führte Conrad aus. Sein Ziel sei es zudem gewesen, mit einigen Mythen aufzuräumen und falsche Ansichten über die deutsche Geheimdienstarbeit zu korrigieren.
Die deutschen Geheimdienste hätten sich die leider oft geringe öffentliche Akzeptanz ihrer Tätigkeit zum Teil auch selbst zuzuschreiben, so Conrad. In anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien existieren dagegen seit langem weit mehr Bücher über die dortigen Nachrichtendienste, vor allem solchen aus den eigenen Reihen. Dort seien viele Mitarbeiter stolz, bei Geheimdiensten zu arbeiten.
Diese unterschiedliche Wahrnehmung sowohl durch die Öffentlichkeit als auch innerhalb der Belegschaft liege Conrad zufolge auch darin begründet, dass die Nachrichtendienste einiger Länder im Gegensatz zum BND bereits seit Jahrzehnten gezielte Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Dadurch sei es gelungen, die Akzeptanz geheimdienstlicher Arbeit deutlich zu erhöhen.
Die Verantwortung am hiesigen Missstand möchte Conrad aber nicht allein bei den deutschen Nachrichtendiensten suchen. Oft scheiterten ähnliche Initiativen auch an den Politikern, die offensichtlich wenig Interesse an einer ähnlichen nachrichtendienstlichen Imagekampagne in Deutschland hätten.
Im Gespräch kam Conrad auch auf weitere Aspekte aktueller Geheimdienstarbeit zu sprechen. Deutlich kritisierte er die jüngsten Beschlüsse, wonach das deutsche Grundgesetz für deutsche Bundesbehörden international gelte und diese in allen Tätigkeiten an das Grundgesetz gebunden sind.
Dieser Beschluss würde, so Conrad, zum Beispiel die Voraussetzungen für die anlasslose Erfassung von Metadaten im Ausland stark einschränken. Er sehe darin eine Behinderung der Arbeit des BND. Dabei sei eine effiziente Auslandaufklärung wichtig, um durch eine solide Informationslage den politischen Entscheidungsträgern Trittsicherheit zu geben.
Bei einem weiteren Punkt aktueller Geheimdienstarbeit sei derzeit Besserung in Sicht. Viele Jahre lang waren die deutschen Geheimdienste in Bezug auf ihre finanzielle Ausstattung „auf Diät gesetzt“. Nun habe sich dort aber etwas bewegt und das bisherige Jahresbudget wurde auf über 1 Mrd. Euro angehoben.
Allerdings betonte Conrad, dies mache die jahrelange Unterfinanzierung nicht wett. Versäumtes könne erst langsam nachgeholt werden, Ausbildung und Beschaffung gestalten sich oft zeitaufwändig. Generell stellte er fest, dass die Beträge im Vergleich zu anderen europäischen Nachrichtendiensten, zum Beispiel Frankreich oder Großbritannien, immer noch recht gering ausfielen.
Die jahrelange Unterfinanzierung habe ihren Ursprung in der Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs, als die nun vermeintlich obsolete Geheimdienst-Arbeit „als Spardose genommen wurde“. Die Geheimdienste wurden damals von vielen Politikern als Restposten einer historisch überwundenen Zeit betrachtet.
Erst Zeitenwenden wie 9/11 oder jüngst der Krieg Russlands gegen die Ukraine hätten zu einem Umdenken geführt. Ähnlich wie die Bundeswehr habe auch die deutsche Geheimdienstarbeit im Angesicht dieser Ereignisse in den Augen der Öffentlichkeit erneut an Relevanz gewonnen.
Die nächste Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum beschäftigt sich mit der Frage, wie Geheimagentinnen die deutsche Geschichte geprägt haben. Die SPIEGEL-Journalisten Ann-Katrin Müller und Maik Baumgärtner geben spannende Einblicke in neuste Rechercheergebnisse.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 19.10.2022