Es kommt selten vor, dass Geheimdienst-Chefs öffentlich über Spione und Agenten sprechen. Meist sagen sie gar nichts und wenn doch, dann verstecken sie sich hinter Phrasen, Gesetzestexten oder allgemeinen Sprachregelungen wie „kann weder bestätigen noch dementieren“ oder „über Quellen und Methoden geben wir generell keine Auskunft“.
Umso bemerkenswerter war der öffentliche Auftritt von MI6-Chef Alex Younger diese Woche. Am Montag, 3. Dezember 2018, sprach er zu Studenten und dem Lehrkörper der ehrwürdigen St. Andrews Universität in Edinburgh, Schottland, seiner Alma Mater.
Unter dem Titel „Die vierte Generation der Spionage – Fusion traditioneller menschlicher Fähigkeiten mit technischen Innovationen“ gab er einen tiefen Einblick in das Leben und Arbeiten des britischen Geheimdienstes.
Die Rede glich einer programmatischen Skizze über die Methoden eines Geheimdienstes im Zeitalter der digitalen Welt, asymmetrischer Bedrohungen, Cyberangriffen, Terrorismus und anderer aggressiver Geheimdienste.
Wie in allen Lebensbereichen verändert sich die Umwelt und die Anforderungen im Geheimdienst durch technologischen Fortschritt ständig. Digitale Angriffe oder Propaganda sind eine Seite der Medaille, neue Möglichkeiten zur offenen Informationsgewinnung die andere.
Eine ganz neue Herausforderung wird, so Younger, die künstliche Intelligenz mit sich bringen. Bei aller Technologie und digitalen Träumen jedoch geriet in der jüngeren Vergangenheit der Faktor Mensch in Vergessenheit.
Es waren viele geheimdienstliche Ereignisse im Jahr 2018, die diese Schieflage augenscheinlich machten. Der Mordversuch an dem russischen Doppelagenten Sergej Skripal in England durch zwei Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes GRU war wohl der prominenteste. Aber auch die Ermordung des saudi-arabischen Kritikers Jamal Khashoggi durch ein geheimdienstliches Tötungskommando schlug hohe Wellen.
Die alte Welt der Agenten und Spione ist im digitalen Zeitalter keineswegs tot, so Younger. „Die Arbeit mit menschlichen Quellen (HUMINT – human intelligence) ist unsere Hauptaufgabe und sie wird sich niemals fundamental ändern“ – das war eine der Hauptaussagen von Youngers Rede.
Im Zeitalter einer neuen, vierten industriellen Revolution müsse auch eine vierte Generation von Spionage entwickelt werden. Diese, so der SIS-Chef, zeichne sich durch die Vermischung von menschlichen Fähigkeiten mit beschleunigter Innovation, neuen Partnerschaften und einer offenen Geisteshaltung aus, die Diversität mobilisiert.
Mit James Bond habe dies, so beeilte sich Younger in einem Interview nachzulegen, übrigens nichts zu tun. „Ich kann Ihnen versichern, dass James Bond niemals bei uns durch den Rekrutierungsprozess kommen würde […] und während wir seine Qualitäten wie Patriotismus, Energie und Beharrlichkeit teilen, hat ein Geheimdienstmitarbeiter des realen MI6 ein hohes Ausmaß an emotionaler Intelligenz, schätzt Teamwork und hat stets Respekt für das Gesetz – nicht wie Mr. Bond.“
Es war erst sein zweiter öffentlicher Auftritt, seit Younger den britischen Auslandsgeheimdienst Secret Intelligence Service SIS, besser bekannt als MI6, im Jahr 2014 übernahm. Wie jeder MI6-Chef wird er dort einfach nur „C“ genannt. Auch führt er die Tradition weiter, immer nur mit grüner Tinte zu unterschreiben. Ganz so, wie es der Gründer des MI6, Mansfield Smith-Cumming, auf dessen Signatur auch das Kürzel „C“ zurückgeht, zu tun pflegte.
Tradition und Ambition, so könnte man Youngers Vision für den MI6 zusammenfassen. Sein Ziel, so sagte er bei Amtsantritt, ist es, den SIS als einen der stärksten Geheimdienste weltweit auszubauen. Diese Rolle unterstrich Younger auch bei seiner Rede in St. Andrews, als er vom SIS als einem der wenigen tatsächlichen globalen Geheimdienste sprach.
Younger selbst ist übrigens ein Eigengewächs der britischen Aufklärung. Seit 1991 arbeitet er für den MI6, erst als operativer Offizier. Später agierte er als Leiter für Terrorismusabwehr-Operationen vor den Olympischen Spielen 2012 in London und als Verbindungsoffizier in Afghanistan.
Ein intimer Kenner der Geheimdienstwelt also, welcher der breiten Öffentlichkeit erstmals einen kleinen Blick durch das Schlüsselloch in die neue Generation der Spionage ermöglichte.
Bilder
Hauptquartier des MI6 in Lndon: Mark Ahsmann [CC BY-SA 3.0]
MI6-Chef Alex Younger: UK Government(OGL)
Logo des MI6: MI6
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 06.12.2018