Nachrichtendienste nutzen eine Vielzahl an Optionen, um Informationen zu sammeln. Oft überschneiden sich die Methoden dabei mit denen anderer Bereiche, vor allem aus dem militärischen oder kriminalistischen Sektor. Gerade die Erfassung von biometrischen Daten zur Identifizierung von Personen hat in den vergangenen Jahren durch technische Entwicklungen einen enormen Aufschwung erlebt.
Die oftmals kritische Berichterstattung in den Medien über den datenschutzrechtlich komplizierten Einsatz von Techniken wie Gesichtserkennung und Iris-Scans hat das Thema einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Aus diesem Anlass widmen wir uns in einer mehrteiligen Serie der Geschichte der biometrischen Verfahren und ihrer nachrichtendienstlichen Nutzung.
Als erstes biometrisches Verfahren gilt die um 1880 von Alphonse Bertillon entwickelte und nach ihm benannte Bertillonage. Ab 1882 leitete Bertillon das Identifizierungsinstitut an der Polizeipräfektur in Paris.
Das Verfahren sollte die Identifizierung von Personen anhand von elf Körpermaßen standardisieren: Körperlänge, Kopflänge und -breite, Armspannweite, Sitzhöhe, Länge und Breite des rechten Ohres, Länge des linken Fußes, Länge des linken Mittel- und Kleinfingers und die Länge des linken Unterarms.
Da sich diese Maße ab dem Erwachsenenalter nicht mehr verändern, gelten sie in ihrer Gesamtheit für jeden Menschen als einzigartig. Nach detaillierten Vorgaben sollten zudem physiognomische Eigenheiten des Gesichts, also die Formen von Nase, Ohr oder Kinn beschrieben werden. Zusammen mit der Vermessung der Köpermaße wurden Fotoaufnahmen der Personen aus zwei Perspektiven (Front- und Seitenansicht) angefertigt.
Sowohl für die Erfassung der Köpermaße als auch für die Fotoaufnahmen entwickelte Bertillon spezielle Apparaturen. Diese sollten den Ablauf standardisieren und die korrekte Erfassung der Daten gewährleisten. Alle gesammelten Daten wurden in einem Karteikartensystem erfasst. Das System kam in ganz Europa und auch in Amerika zum Einsatz.
Allerdings stellte sich heraus, dass die zeitaufwändige Erfassung nicht immer fehlerfrei war und Toleranzen aufwies. Schon nach zwei Jahrzehnten löste das Fingerabdruckverfahren die Bertillonage ab.
Auch wenn die Bertillonage also nur relativ kurz zur Anwendung kam, hat sich ein wesentliches Element bis heute erhalten: Polizeifotos werden immer noch nach dem von Bertillon entwickelten System in Front- und Seitenansicht aufgenommen. Auch bei der Erstellung von Phantombildern kommen immer noch Elemente der Bertillonage zum Einsatz.
Bertillon selbst blieb bis zu seinem Lebensende von seinem System überzeugt und ein Gegner des Fingerabdruckverfahrens. Allerdings täuschte er sich hier ebenso wie in seiner Rolle als Experte für Handschriften in einem der berühmtesten Spionageprozesse seiner Zeit.
Seine Aussage, dass Alfred Dreyfuss der Autor eines gefundenen Zettels war, der belegte, dass dieser militärische Geheimnisse an den deutschen Geheimdienst weitere gegeben hatte, erhielt vor Gericht großes Gewicht und erwies sich später als gravierendes Fehlurteil.
Schon seit Jahrhunderten ist bekannt, dass der Fingerabdruck jedes Menschen individuell ist. Im 2. Jahrhundert v. Chr. beispielsweise wurde der Fingerabdruck daher auch als Unterschrift auf Dokumenten genutzt. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber entwickelte sich ein System, Fingerabdrücke kriminalistisch zur Identifizierung von Personen zu nutzen.
In den 1880er und 1890er-Jahren erschienen Artikel in Fachzeitschriften, die sowohl über die Einzigartigkeit der Rillenmuster der Fingerkuppen berichteten, als auch deren Verwendung im kriminalistischen Bereich vorschlugen. Ab Ende des 19. Jahrhunderts begann der Siegeszug des Verfahrens.
In Deutschland dienen Fingerabdrücke seit 1903 dazu Täter zu identifizieren. Zuerst führte das Verfahren der Dresdner Polizeipräsident Paul Köttig ein. Schnell kam es zur Anlage großer Datenbanken. In den späten 1940er-Jahren verfügte das FBI bereits über eine Sammlung von über 100 Millionen Fingerabdrücken zu Verbrechern, Verdächtigen, Mitarbeitern von militärischen Bereichen und Ausländern. Dagegen erscheint selbst die aktuelle Sammlung des BKA mit bisher 5,3 Millionen Personen recht überschaubar.
Im Gegensatz zur Bertillonage gestaltet sich die Abnahme von Fingerabdrücken unkompliziert, Spezialausrüstung ist nicht notwendig. Zudem sind die Ergebnisse eindeutiger zuweisbar – allerdings nicht unfehlbar. Nachdem viele Jahrzehnte die Fingerabdruckanalyse trotz fehlendem wissenschaftlichem Nachweis als eindeutig galt, mehrten sich zuletzt die Zweifel.
Immer wieder gab es bei der Zuweisung von Fingerabdrücken Fehler, die nicht ausschließlich auf Fehler der Analysten zurückzuführen sind. 2004 etwa machte das FBI nach einer Anschlagserie in Madrid einen Unschuldigen anhand von Fingerabdrücken als Täter aus, bevor der richtige Täter gefasst wurde und tatsächlich fast identische Fingerabdrücke aufwies. Nach diesem Fall ist das FBI von der ursprünglichen Aussage abgerückt, die Analyse der Fingerabdrücke liefere 100%ig sichere Ergebnisse.
Dennoch bleibt die Fingerabdruck-Methode ein Standard-Verfahren der Ermittlungsarbeit. Bei der Suche nach Straftätern hat es sich oft als entscheidend erwiesen. Wie bedeutend der Fingerabdruck auch heute noch eingeschätzt wird, zeigt sich daran, dass die EU plant, dass alle Europäer die Fingerabdrücke in ihren Pässen speichern müssen. Insgesamt entstehen so Datenbanken von 370 Millionen Personen.
Datenschützer kritisierten, dass eine derartige Speicherung von Fingerabdrücken über den Zweck von Ausweisen hinausgehe und zudem das Risiko der illegalen Nutzung der Daten erhöhe. Die Sorge scheint nicht unbegründet: 2015 gelang es Hackern, die gespeicherten Fingerabdrücke von 5,6 Millionen Angestellten der US-Behörden zu erbeuten.
Experten befürchten, dass diese dazu dienen sollen, dass die chinesischen Geheimdienste leichter Informanten aus den Kreisen der US-Regierung rekrutieren oder US-Spione im Ausland identifizieren können.
Auch deutsche Geheimdienste sind stark an Fingerabdrücken interessiert. Der BND hat seit 2014 über vier Millionen Euro in biometrische Technik investiert, die unter anderem zur Erfassung von Fingerabdrücken dient, um damit Zielpersonen zu identifizieren.
2018 stellte sich heraus, dass der BND an der US-Geheimoperation “Gallant Phoenix” beteiligt war und dabei auch Fingerabdrücke auswertete, die in IS-Hochburgen sichergestellt wurden. Trotz aller Bedenken hat die alte Technik der Fingerabdruck-Analyse also noch lange nicht ausgedient.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 16.07.2020