Mehrmals wäre der Kalten Krieg beinahe zu einer realen militärischen Auseinandersetzung zwischen den Großmächten Sowjetunion und USA eskaliert. Im Oktober 1962 stand dabei ausnahmenweise nicht das geteilte Berlin im Mittelpunkt des Interesses, sondern die karibische Insel Kuba, auf der sowjetische Nuklearraketen das amerikanische Festland unmittelbar bedrohen sollten.
Westliche und östliche Geheimdienste hatten entscheidenden Anteil an den Geschehnissen: Der KGB bei der Planung und Durchführung der streng geheimen sowjetischen Operation des Truppen- und Raketentransports, die amerikanischen Nachrichtendienste bei der Enttarnung dieser Aktion. Nicht zu vergessen ein sowjetischer Doppelagent, der Anteil daran hatte, dass die Situation am Ende nicht eskalierte.
Seit den späten 1950er-Jahren arbeiteten die USA daran, ihr Bedrohungsszenario gegenüber der Sowjetunion stetig auszubauen. Das US-Militär stationierte zahlreiche mit Atomsprengköpfen bestückte Raketen in Italien sowie der Türkei und war so Anfang der 1960er-Jahre in der Lage, alle taktisch relevanten Orte in der Sowjetunion angreifen zu können.
Um ein Gegengewicht zu dieser aus Sicht des sowjetischen Militärs untragbaren Situation zu schaffen, beschloss die politische und militärische Führung um den sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow im Mai 1962 die hochgeheime Operation Anadyr: Die Stationierung von Truppen und nuklearen Mittelstreckenraketen auf der verbündeten Insel Kuba sollte eine unmittelbare Bedrohung für das amerikanischen Festland darstellen und das Gleichgewicht der Mächte stabilisieren.
Der Aufwand der Operation war gewaltig: Von unterschiedlichen Militärbasen aus starteten ab Juni 1962 über 80 Schiffe mit 40.000 sowjetische Soldaten und nuklearen Mittelstreckenraketen nach Kuba.
Es war die größte Geheimoperation im Kalten Krieg. Sie war so geheim, dass die eingesetzten Truppen vorerst nicht eingeweiht wurden. Die Kapitäne erfuhren erst auf hoher See vom Ziel der Mission, nachdem sie in Anwesenheit eines KGB-Offiziers einen Umschlag mit den Befehlen öffnen durften.
Am 8.Oktober 1962 traf das erste Schiff mit nuklear bestückten Raketen auf Kuba ein. Die sowjetischen Truppen begannen damit, an insgesamt neun Stellen auf der Insel Abschussrampen für die Raketen zu errichten.
Seit 1961 fanden regelmäßig Überwachungsflüge mit dem US-Aufklärungsflugzeug U-2 über Kuba statt. Den amerikanischen Geheimdiensten waren vermehrt Berichte über verdächtige Aktivitäten auf der Insel zu Ohren gekommen waren.
Am 14. Oktober schließlich gelang es einer U-2, Aufnahmen von den im Bau befindlichen Raketen-Abschussrampen zu machen. Die Raketen auf den Aufnahmen konnten zum Teil aufgrund von Informationen identifiziert werden, die der Doppelagent Oleg Penkowsky zum sowjetischen Raketenprogramm geliefert hatte.
Penkowski war ein Offizier des sowjetischen Militärnachrichtendienstes GRU, der seit 1960 für den MI6 und die CIA spionierte. Am 16. Oktober wurden US-Präsident John F. Kennedy und die US-Militärführung von den Ergebnissen der durch den militärischen Nachrichtendienst Defense Intelligence Agency (DIA) ausgewerteten Aufnahmen informiert.
In den folgenden Tagen bestätigten weitere U-2-Flüge die Ergebnisse der ersten Aufnahmen. Kennedy und sein Stab berieten, wie auf die neue Situation zu reagieren sei. Man entschied sich schließlich, von einer direkten militärischen Aktion vorerst Abstand zu nehmen. Stattdessen errichtete man eine Seeblockade mit 200 Kriegsschiffen um Kuba herum.
Die Spannungen drohten zu eskalieren, beide Mächte schlossen eine militärische Eskalation nicht mehr aus. Die Sowjetunion versetzte ihre Streitkräfte vorsorglich in den Status der „vollen Gefechtsbereitschaft“. Auch die USA stellten die „erhöhte Einsatzbereitschaft“ aller ihrer Truppen her. Kennedy forderte den Abzug der Raketen und der Truppen von Kuba. Er drohte damit, dass ein sowjetischer Angriff auf die USA mit einem atomaren Gegenschlag beantwortet werden würde.
Die Positionen verhärteten sich zusehends und die Welt befand sich sehr nahe am Szenario eines neuen Weltkriegs: Unter anderem warfen US-Zerstörer mehrmals Wasserbomben auf sowjetische U-Boote, die mit Nuklearwaffen bestückt den Transportschiffen als Geleitschutz dienten und ein U-2-Flugzeug wurde über Kuba abgeschossen, wobei der Pilot starb.
Obwohl viele US-Militärs nun den Luftangriff auf Kuba forderten, setzten Präsident John F. Kennedy und sein Bruder Robert Kennedy als US-Außenminister weiter auf Verhandlungen. Anteil daran hatte wiederrum der Doppelagent Penkowski, nach dessen Informationen der Rüstungsstand der Sowjetunion als nicht ausreichend für einen Konflikt bewertet wurde.
Diese Kenntnisse bestärkten Kennedy in seiner Haltung. Nachdem die USA der sowjetischen Führung zugesagt hatten, keine Invasion auf Kuba zu planen und ihre Raketenstellungen in der Türkei abzuziehen, lenkte Chruschtschow ein und befahl am 28. Oktober den Abzug der Raketen.
Die Kubakrise machte der Welt klar, wie schnell es zu einem Atomkrieg kommen könnte und dass dieses Szenario unbedingt zu verhindern sei. In der Folge wurden unter anderem enge Krisenverbindungen zwischen der USA und der Sowjetunion aufgebaut, um die Kommunikationswege im Ernstfall zu vereinfachen. Diese ständige Fernschreiberverbindung wurde als der sogenannte „Heiße Draht“ bekannt. Rückblickend leitete diese Entwicklung eine Entspannungspolitik zwischen den Supermächten ein.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 14.10.2020