Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zur Auflösung der bis dahin bestehenden deutschen Geheimdienst-Strukturen. In den Folgejahren vollzog sich unter Anleitung der Siegermächte langsam der Aufbau neuer deutscher Geheimdienste. Auf Initiative des amerikanischen Militärs und schließlich unter Aufsicht der CIA entstand dabei auch der für die westdeutsche Auslandsaufklärung zuständige Bundesnachrichtendienst BND.
Auch wenn die deutschen Geheimdienste nach dem Weltkrieg aufgelöst wurden, bestehen durchaus geheimdienstliche Kontinuitäten zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der jungen Bundesrepublik. Vor dem Szenario eines Kalten Krieges zwischen Ost und West war früh klar, dass Deutschland eine Schlüsselstellung einnehmen würde. Beide Seiten waren daher am raschen Aufbau verbündeter deutscher Geheimdienststrukturen interessiert und mussten dabei auf erfahrenes Personal zurückgreifen.
Ab April 1946 beauftragte die US Army mit Hermann Baun einen Offizier des aufgelösten deutschen Militärnachrichtendienstes Abwehr, unter dem Decknamen „Operation Rusty“ geheimdienstliche Strukturen zur Auslandsaufklärung zu etablieren. Der Hauptsitz der Operation befand sich im Camp King in Oberursel. Die ersten geschaffenen Arbeitsbereiche umfassten Militär, Wirtschaft, Politik sowie Spionageabwehr.
Am 15. Juli 1946 trat mit Reinhard Gehlen eine Person der Operation Rusty bei, der die Geschicke des westdeutschen Auslandsnachrichtendienstes für Jahrzehnte prägen sollte. Gehlen war ein erfahrener Geheimdienst-Mann. Im Zweiten Weltkrieg stand er der Wehrmachts-Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) vor, zuständig für die Feindes-Aufklärung im Osten. Gehlens erste Position war die des Leiters im Bereich Auswertung.
Reinhard Gehlen hatte einen Spionage-Trumpf im Ärmel, der ihm eine herausragende Position bei den Amerikanern sicherte. Vor Kriegsende hatte er das umfangreiche Archiv der FHO mit wertvollen Informationen zur Sowjetunion vergraben lassen. Dieses stellte er nun den US-Geheimdiensten zur Verfügung. Vielleicht war dies der ausschlaggebende Punkt, dass es dem ehrgeizigen Gehlen gelang, Anfang 1947 Baun abzulösen und zum Chef der Operation Rusty ernannt zu werden. Der Name der Operation wandelte sich in der Folgezeit zu Organisation Gehlen (Org.).
Am 6. Dezember 1947 fand die Organisation in der ehemaligen Reichssiedlung Rudolf Heß in Pullach bei München einen neuen Hauptsitz. Da der Umzug am Nikolaustag geschah, erhielt die Liegenschaft den Spitznamen Camp Nikolaus. Für viele Jahrzehnte sollte dieses abgeschottete Areal der zentrale Ausgangspunkt für die Aktivitäten des westdeutschen Auslandsnachrichtendienstes werden. Lange hielt man die Identität der neuen Bewohner geheim. Das berühmte „Firmenschild“ am zentralen Eingang wurde erst in den 1980er-Jahren aufgestellt.
Gehlen, der den Decknamen Dr. Schneider führte, stockte den rasch wachsenden Geheimdienst zum großen Teil mit ehemaligen Angehörigen von SS, SD, Gestapo, Abwehr, FHO und Wehrmacht-Offizieren auf. Diese wurden zudem bei Entnazifizierungsverfahren von der Organisation Gehlen unterstützt. Dieses Wehrmachts-Erbe sollte dem späteren BND im Lauf seine Geschichte noch ein paar Mal Schwierigkeiten bereiten.
Immer noch lief die Operation unter amerikanischer Ägide, wenn sich auch ein wesentlicher Wechsel anbahnte. Am 1. Juli 1949 übernahm die CIA die Finanzierung und Kontrolle, die zuvor vom US-Militär ausgegangen war. Die durch die CIA vorgegebenen Aufgabenstellungen hatten noch nicht die internationale Vielfalt, die der Arbeit des BND heute innewohnt. Das Augenmerk war klar gen Osten gerichtet und lag vor allem auf DDR, Polen und Rumänien.
Die Amerikaner ließen sich die Arbeit von Gehlens Spionen einiges kosten: Um 1950 lag der Jahresetat der Organisation Gehlen bei 1,5 Millionen US-Dollar. Kurz danach begannen erste Planungen, den Dienst in die Zuständigkeit des Bundes zu überführen.
Der zum Mai 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, Großbritannien und USA abgeschlossene Deutschlandvertrag macht den Weg frei für eine Wiederherstellung der deutschen Souveränität. Dazu zählte unter anderem die Möglichkeit, nun eine Auslandsgeheimdienst zu unterhalten. Eigentlich hätte alles schneller gehen sollen, aber der Fall Otto John lähmte die Entwicklung der deutschen Geheimdienst-Landschaft für ein Jahr.
Schließlich beschloss die Bundesregierung am 11. Juli 1955 eine Dienstelle Bundesnachrichtendienst einzurichten. Diese sollte dem Bundeskanzleramt angegliedert werden. Bis heute ist der BND die einzige dem Bundeskanzleramt unmittelbar nachgeordnete Bundesoberbehörde.
Am 1. April 1956 erfolgte die offizielle Gründung des BND. Die Organisation Gehlen ging in diesem auf, dessen Leiter Reinhard Gehlen wurde zum Gründungsdirektor des BND ernannt. Auch mit neuen Namen sollte es noch für viele Jahre vor allem Gehlens Geheimdienst bleiben.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 01.04.2021