Der israelische Geheimdienst Mossad gilt als einer der effizientesten Geheimdienste der Welt. Dieser Ruf rührt auch daher, dass der Mossad sich zuweilen wenig mit internationalen Absprachen aufhält. Immer wieder kam es zu gewagten Operationen auf fremden Territorien, ohne dabei Absprachen mit den örtlichen Behörden zu treffen. Eine der berühmtesten Mossad-Operationen war die Entführung des ehemaligen SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann aus Argentinien.
Adolf Eichmann war aus Überzeugung früh NSDAP-Mitglied geworden und 1934 in den NSDAP-eigenen Geheimdienst Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) eingetreten. Seit 1941 leitete Eichmann als SS-Obersturmbannführer die Abteilung IV B 4 (Juden- und Räumungsangelegenheiten) im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Dieser oft als Eichmannreferat bezeichneten Dienststelle oblag die Organisation bei der sogenannten Endlösung der Judenfrage. Sie hatte maßgeblichen Einfluss und Anteil am Holocaust.
Als Eichmann 1945 in US-Kriegsgefangenschaft geriet, verschwieg er seine wahre Identität. Im folgenden Jahr floh er aus dem Kriegsgefangenenlager und tauchte unter. Einige Zeit lebte er unter falschem Namen als Waldarbeiter und Hühnerbesitzer in einem kleinen Ort in Niedersachsen.
Über eine der als Rattenlinien bezeichneten Fluchtrouten, auf denen zahlreiche führende Personen des NS-Regimes ins Ausland flohen, gelang ihm 1950 die Ausreise nach Argentinien. Unterstützung erhielt er dabei aus deutsch-katholischen Kreisen. So konnte er bei seiner Reise unter anderem Kloster als konspirative Wohnungen nutzen.
In Argentinien musste er unter der Herrschaft des damaligen Präsidenten und Hitler-Sympathisanten Juan Perón keine Verfolgung fürchten. Durch eine Anstellung in einem Daimler-Benz-Werk konnte Eichmann, der sich nun Riccardo Klement nannte, seiner nachgereisten Familie ein bescheidenes Auskommen sichern.
Die Tatsache, dass sich Eichmann in Argentinien aufhielt, war nicht verborgen geblieben: Seit 1952 bereits wusste die Organisation Gehlen, der Vorgänger des BND, davon. Auch die amerikanische CIA war seit 1958 im Bilde. Die israelische Regierung allerdings wurde nicht informiert. Vermutlich wollte man vermeiden, dass Eichmanns Aussagen ehemaligen Nationalsozialisten in Regierungskreisen schaden könnten.
Doch auch von anderer Seite verdichteten sich die Hinweise auf Eichmanns Aufenthaltsort. Nach verschiedenen Gerüchten und vagen Spuren erhielt 1957 der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer diesbezüglich deutliche Hinweise. Er leitete diese an die israelische Regierung weiter. Diese wollte sicher gehen, dass es sich tatsächlich um Eichmann handelt.
Das Ergebnis einer ersten Observation durch einen Mossad-Agenten jedoch war ernüchternd. Sein Fazit lautete, dass ein ehemals derart hochrangiger NS-Offizier unmöglich in so bescheidenen Umständen leben könne. Erst eine zweite Überwachungsaktion im Mai 1960 brachte Gewissheit, dass es sich bei Riccardo Klement um den gesuchten Eichmann handelte.
Da Argentinien den Ruf hatte, nicht sonderlich kooperativ bei offiziellen Auslieferungsanträgen gegen ehemalige NS-Kader zu reagieren, entschloss sich die israelische Regierung, eigenständig zu handeln. Als zu groß erachtete man sonst die Gefahr, dass Eichmann gewarnt werden und untertauchen könnte. Nachdem der Entschluss gefasst war, Eichmann zu entführen, starteten wochenlange Observationen, um den perfekten Zeitpunkt für die Durchführung abzupassen.
Am 11. Mai 1960 schnappte die Falle zu. Ein Team des Mossad nahm Eichmann in einer Seitenstraße in Buenos Aires nahe seiner Wohnung gefangen, als dieser nach seiner Arbeit aus dem Bus gestiegen war. Da es kein Auslieferungsabkommen gab, wurde Eichmann zuerst tagelang in einer konspirativen Wohnung versteckt.
Anschließend schmuggelte man ihn getarnt als Flugbesatzungsmitglied in einem Flugzeug der israelischen Fluggesellschaft El Al nach Israel. Erst am 23. Mai eröffnete der israelische Premierminister David Ben Gurion der staunenden Weltöffentlichkeit, dass sich Eichmann in israelischer Haft befand.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte nach der Aktion das Agieren des Mossad auf argentinischem Boden. Es gelang Israel und Argentinien jedoch, sich anschließend diplomatisch zu einigen und die Angelegenheit in einer gemeinsamen Erklärung ohne Wiedergutmachungsmaßnahmen beizulegen.
Der folgende Gerichtsprozess gegen Adolf Eichmann erhielt in der internationalen Presse große Aufmerksamkeit. Eichmann leugnete weder den Holocaust noch seine Beteiligung. Er berief sich aber darauf, juristisch nicht dafür belangt werden zu können, lediglich Befehle befolgt zu haben.
Im Dezember 1961 wurde er in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen und unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt. Die am 1. Juni 1962 durch Hängen vollstreckte Hinrichtung Eichmanns ist bis heute die Einzige, die nach einem israelischen Gerichtsverfahren durchgeführt wurde.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 11.05.2021