Angela Merkels bekannte Aussage „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“ mag moralisch seine Berechtigung haben, in der Welt der Nachrichtendienste allerdings geht er an der Realität vorbei. Davon zeugen nicht nur jüngere Skandale wie der Lauschangriff des US-Geheimdienstes NSA auf Merkels Handy oder die Spionageoperation des BND gegen Österreich. Auch im Kalten Krieg, als die Fronten klarer akzentuiert waren als heute, gab es Spionagetätigkeiten unter verbündeten Staaten, etwa die großangelegte Operation Rubikon der CIA und des BND.
Selbst die USA als wohl mächtigste Geheimdienst-Nation der Welt waren vor einem solchen Szenario nicht gefeit. Das zeigten die Enthüllungen um den US-Nachrichtenoffizier Jonathan Pollard in den 1980er-Jahren. Besonders spannend an diesem Fall: Der Skandal hätte sich leicht verhindern lassen – Warnhinweise wurden mehrfach sträflich ignoriert. Ein Lehrstück darüber, wie sorgfältig Nachrichtendienste ihr Personal auswählen sollen und was passiert, wenn sie es nicht tun.
Der 1964 in Texas geborene Jonathan Pollard wuchs mit einem starken Bewusstsein für die Vergangenheit seiner jüdischen Familie auf. Über die Jahre entwickelte sich eine enge Beziehung zu Israel, das Pollard mehrmals besuchte. Früh scheint er auch von der Welt der Nachrichtendienste fasziniert gewesen zu sein. Während seines Studiums der Politikwissenschaften brüstete er sich laut Kommilitonen damit, für den Mossad gearbeitet zu haben und das sein Vater bei der CIA war. Alle diese Geschichten waren erfunden.
Zuerst bewarb er sich erfolgslos bei der CIA, da bei einem Lügendetektortest sein starker Drogenmissbrauch der vergangenen Jahre zum Vorschein kam. Dennoch gelang es ihm 1979, eine Stelle bei der US Marine im Naval Intelligence Command (NIC) zu erhalten. Bei einem Hintergrundcheck Pollards zur Freigabe für höhere Geheimhaltungsstufen gab die CIA trotz Anfrage keine Informationen zu ihren Lügendetektorresultaten.
Im Nachhinein stellte sich heraus, dass Pollard im Zuge dieses Checks mehrfach gelogen hatte. Unter anderem hatte er sich wiederholt auf die angebliche CIA-Vergangenheit seines Vaters bezogen sowie falsche Angaben zu seinen Sprachkenntnissen und akademischen Abschlüssen gemacht. Dennoch erhielt er schließlich alle Freigaben. Anschließend wurde er der Task Force 168 im Naval Intelligence Command zugeordnet.
Die Nachrichtendienst-Karriere des Jonathan Pollard hätte es also eigentlich gar nicht geben dürfen. Noch erstaunlicher ist, dass nicht nur der Hintergrundcheck versagte. Auch zwei Beschwerden von Vorgesetzten blieben ungehört.
Unter Missachtung der Rangfolge hatte Pollard zuerst dem technischen Direktor des Navy Field Operational Intelligence Office und später einem Kommandeur des Naval Intelligence Command eine verwegene Spezialoperation vorgeschlagen. Der Direktor beantragte seine Kündigung. Der Kommandeur verlangte zudem, Pollard für alle Geheimhaltungsstufen zu sperren.
Durch Fehleinschätzungen anderer Entscheidungsträger und unglückliche Zufälle wie eine zeitgleiche Umdisponierung ergaben sich für Pollard kaum Konsequenzen. Immer wieder hatte er das Glück, durchs Raster zu fallen. Ein weiterer Check durch die CIA stufte ihn als Risiko ein und riet von jeglichem Einsatz im Nachrichtenwesen. Dennoch wurde Pollard lediglich in der Geheimhaltungsstufe herabgesetzt.
Anstatt also den Nachrichtendienst zu verlassen, arbeitete Pollard ein paar Jahre an weniger sensiblem Material. Er schlug sich dabei sehr gut und wurde 1982 nach einer erneuten psychologischen Untersuchung wieder hochgestuft. Mit dieser Freigabe erhielt er 1984 eine Stelle als Analyst beim Naval Intelligence Command.
Während seiner Tätigkeit für den US Marine-Nachrichtendienst kam Pollard zu dem Schluss, dass die amerikanischen Geheimdienste Israel wichtige Informationen vorenthielten und dadurch die Sicherheit des Landes aufs Spiel setzten. Er baute über ein Mitglied der israelischen Air Force Kontakt zu den israelischen Geheimdiensten auf und bot sich als Spion an. Ab 1984 übermittelte er die ersten geheimen Informationen und erhielt dafür 10,000 US-Dollar sowie wertvollen Schmuck.
In den nächsten Jahren bezog er von israelischer Seite ein steigendes Montagsgehalt von bis zu 2.500 US-Dollar sowie finanzielle Mittel für Reisen, Restaurants und weitere Aufwendungen. Das umfangreiche Material, dass Pollard an Israel übermittelte, umfasste auch Staatsgeheimnisse, welche die Arbeitsweisen der US-Geheimdienste offenlegten, zum Beispiel zur elektronischen Aufklärung der NSA. Sein Wissen bot Pollard auch anderen Ländern wie Südafrika und Pakistan an.
Die Spionagetätigkeit blieb nicht lange unbemerkt. Ein anonymer Kollege machte seine Vorgesetzten 1985 darauf aufmerksam, dass Pollard geheime Unterlagen entwendete. Kurz darauf entdeckte ein Vorgesetzter zufällig Geheimdokumente auf Pollards Schreibtisch, die eigentlich nichts mit seinem Aufgabenbereich zu tun hatten. Eine anschließende Überprüfung durch das FBI deckte zwar auf, dass Pollard fahrlässig mit sensiblen Dokumenten umgegangen war, aber nicht, dass er diese an Dritte weitergab.
Erst als man Pollard mit einem Lügendetektortest drohte, gestand er seine Spionagetätigkeit. Im Laufe der Verhöre begann er zu kooperieren und benannte Israel als Auftraggeber. In einer offiziellen Reaktion behauptete Israel daraufhin, dass Pollard lediglich Teil einer nicht-autorisierten Spionageoperation war. Eine Auslieferung von Pollards Führungsoffizier verweigerte Israel und stimmte einer Kooperation bei der Aufklärung erst zu, nachdem die USA den beteiligten Israeli Immunität gewährte. Erst Jahre später kamen die tatsächlichen Hintergründe der Affäre zumindest teilweise ans Licht.
1987 wurde Pollard zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Er war damit der einzige Amerikaner, der eine derartige Strafe für die Spionage im Auftrag eines verbündeten Landes erhielt. Das Urteil fand ein geteiltes Echo: Viele empfanden die Strafe als zu hart. Israelische Beamte, US-israelische Aktivistengruppen und sogar einige US-Politiker kritisierten das Urteil und setzten sich für eine Reduzierung der Strafe ein. Allerdings gab es auch zahlreiche Personen, unter anderem Ex-CIA-Direktor George Tennet, die jede Form der Milde angesichts der Schwere von Pollards Spionage kategorisch ausschlossen.
2015 wurde Pollard aus der Haft entlassen. Allerdings unter der Auflage, das Land in den nächsten fünf Jahren nicht zu verlassen und keine Interviews zu geben. Die Affäre um den Spion Pollard fand auch ihren Niederschlag in der Kultur, zum Beispiel in dem Film „The Patriots“ oder dem Off-Brodway Stück „The Law of Return“. So wandelte sich eine Spionagekarriere, die es nie hätte geben dürfen, langsam zum Mythos.
Bilder Wappen der US Navy: US Navy / Jonathan Pollack, 1980er-Jahre: US Navy
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 04.06.2020