Spionageflüge über feindlichem Gebiet stellten auch im Kalten Krieg eine wichtige Quelle zur Informationsgewinnung für Geheimdienste dar. Die Missionen waren gefährlich, denn oftmals drang man dabei weit in den gegnerischen Luftraum ein. Für die Besatzung einer Lockheed C-130 der US Air Force endete der Einsatz 1958 tragisch.
Schon im frühen 20. Jahrhundert erkannte man den Wert der Luftaufklärung als Spionagewerkzeug. Ab 1908 entwickelte der Apotheker Julius Neubronner beispielsweise Kameras, die automatisch auslösten und an Brieftauben montiert zum Einsatz kamen. Auch Flugzeuge wurde früh als Aufklärer genutzt. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg musste die Flugzeug-Besatzung die Bilder noch mittels spezieller händisch geführter Fotokameras schießen.
Die Technik der Spionageflugzeuge erfuhr im Kalten Krieg eine stete und rasche Weiterentwicklung. Besondere Berühmtheit erlangte das amerikanische Spionageflugzeug U-2. Hier war es vor allem der Abschuss des US-Piloten Gary Powers im Jahr 1960, der weltweit für Schlagzeilen sorgte. Heutzutage übernehmen oft Satellitentechnik und Drohnen die Aufgaben von Aufklärungsflugzeugen – die aber immer noch zum Einsatz kommen.
Doch auch schon vor dem Abschuss der erwähnten U-2 sorgten gescheiterte Spionageflüge für Schlagzeilen. Am 2. September 1958 um 10:21 Uhr startete eine Hercules C-130A-II Sun Valley I der US Air Force von einer Air Base in der südlichen Türkei zu einem Aufklärungsflug. Das Ziel der Mission bestand nicht im Erfassen von Luftbildern, sondern dem Abhören von Funkverkehr. Neben der Bilderfassung wurden Flugzeuge regelmäßig auch zur Fernmeldeaufklärung, COMINT (Communication Intelligence) genannt, genutzt.
Um kurz vor 12:00 Uhr überquerte die Maschine die Grenze zur Armenischen Sozialistischen Sowjetrepublik und befand sich somit im sowjetischen Luftraum. Dieser Grenzübertritt war nicht geplant. Der Flug hätte eigentlich in einem Abstand von mindestens 160 km entlang der Grenze zum sowjetischen Machtbereich stattfinden sollen.
Der Grund für die Kursänderung ließ sich nie abschließend klären. Möglicherweise verwechselte die Besatzung ein Funkfeuer in der UdSSR mit ähnlichen Frequenzen wie sie auch türkische Funkfeuer nutzten und orientierte sich fälschlicherweise daran. Es könnte aber auch sein, dass man den Kurs absichtlich änderte, um bessere Daten zu sammeln. Zwei NSA-Mitarbeiter behaupteten Jahre später sogar, dass der Flug das Ziel hatte, die Reaktion der sowjetischen Verteidigung zu testen.
Nachdem die sowjetische Luftaufklärung das US-Flugzeug entdeckt hatte, entsandte man vier MiG-17-Kampfflugzeuge, um es abzufangen. Der folgende Angriff mit Maschinengewehren und Raketen beschädigte das US-Flugzeug so stark, dass das Heck vom Rumpf getrennt wurde und die Maschine in der Nähe des Dorfes Nerkin Sasnaschen in der westarmenischen Provinz Aragazotn abstürzte.
Wie bei derartigen Vorfällen mit Spionagetechnik üblich, bemühten sich alle Seiten um größtmögliche Geheimhaltung beziehungsweise Verschleierung. Ähnlich wie bei dem Abschuss von Francis Gary Powers berichtete die US-Seite, dass ein Flugzeug im Dienst der Wissenschaft verschollen sei.
Im November 1958 wurden der sowjetische Botschafter und der Militärattaché im US-amerikanischen Außenministerium mit den abgehörten Funksprüchen der beteiligten MiG-17-Kampfflugzeuge konfrontiert. US-Außenminister John Foster Dulles stellt diesen Funkverkehr anschließend auch in der UNO vor, um das skrupellose Vorgehen der UdSSR zu verdeutlichen.
Beim Absturz starb die gesamte Besatzung des US-Aufklärungsflugzeugs. Neben der sechsköpfigen Flugzeugbesatzung befanden sich auch elf für die Funkaufklärung zuständige Personen an Bord. Die Besatzung wurde auf dem US-Nationalfriedhof Arlington beerdigt, nachdem die UdSSR die aufgefundenen sterblichen Überreste am 24. September 1958 übergeben hatte.
An mehreren Orten befinden sich Gedenkstätten zu dem Vorfall. Im Absturzort Nerkin Sasnaschen wurde ein Chatschkar, ein steinernes Gedenkkreuz in der Tradition der armenischen Kirche, errichtet. 2011 renovierte das US Army Office of Defense Cooperation den Kindergarten des Dorfes in Anerkennung des Gedenkens der Dorfbewohner an das abgeschossene Flugzeug.
Seit 1997 erinnert zudem eine ausgestelltes Hercules-Flugzeug im National Vigilance Park beim National Cryptologic Museum in den USA an die Opfer des Abschusses. Auf der Homepage der NSA finden sich zahlreiche Dokumente zu dem Ereignis.
Autor: Florian Schimikowski
Veröffentlicht am: 02.09.2022