Um geheime Unterlagen unbemerkt abzufotografieren, nutzten Agenten eine Vielzahl an kreativen Tarnungen, um Spionagekameras zu verstecken. Idealerweise waren diese Tarnungen individuell auf den Agenten und sein Lebensumfeld zugeschnitten, um möglichst wenig Misstrauen zu erregen.
So empfahl es sich zum Beispiel, dass ein Agent, der eine Kamera in einer Streichholzschachtel mit sich führt, ein Raucher ist. Für weibliche Agenten entwickelte das KGB in den 1980er-Jahren eine besonders elegante und gleichzeitig funktionale Kameratarnung: Die Lippenstiftkamera ZVOUK.
Eine solche Kamera ließ sich nicht nur unauffällig in der Handtasche mitführen, auch bei der Nutzung fiel sie kaum auf. Ausgerüstet wurden damit zum Beispiel Schreibkräfte in Behörden oder Unternehmen. Falls eine solche Schreibkraft für den Geheimdienst relevante Dokumente bearbeitete, konnte sie diese abfotografieren, ohne dazu den Arbeitsplatz zu verlassen.
Die Agentin legte das Dokument vor sich auf den Tisch und tat so, als ob sie sich die Farbe der Lippen auffrischen wollte. Sie lehnte sich gestützt auf die Ellenbogen über das Dokument. Wenn Sie den Lippenstift aufdrehte, öffnete sich der Objektiv-Verschluss am Boden. Dieser war kaum zu sehen, die Fotos wurden durch ein lediglich 1,5 mm großes Loch aufgenommen. Drehte die Agentin den Lippenstift wieder herunter, transportierte ein Mechanismus der Film automatisch weiter. Das Geräusch dieses Vorgangs war nur wahrzunehmen, wenn man sich mit dem Ohr in unmittelbarer Nähe der Lippenstiftkamera befand.
So einfach die Handhabung erscheint, musste sie doch präzise eingeübt werden. Besonders wichtig war es, den nötigen Aufnahmeabstand von 25–30 cm einzuhalten, damit die Fotografien am Ende auch scharf wurden. Die nach außen hin lässige Armhaltung beim Benutzen der Kamera war also Maßarbeit.
Vielleicht hatte die Agentin nur einmal Zugang zu den Dokumenten. Wenn man dann beim Entwickeln feststellte, dass die Aufnahmen unleserlich ausfielen, war das sehr ärgerlich. Auf die Filmspule der Kamera passten etwa 20 cm Film für 30 Aufnahmen.
Das gleiche Modell einer Lippenstiftkamera nutzte Margarete Höke. Sie arbeitete als Sekretärin im Bundespräsidialamt und spionierte dort bis zu ihrer Enttarnung im August 1985 für das KGB. Allerdings benutzte sie die Kamera nur ein einziges Mal. Wie sie Jahre später in einem Interview berichtete, kam dabei ein Kollege zur Tür herein und sie fühlte sich enttarnt.
Wenn ein Agent merkt, dass er sich bei einem Vorgehen unwohl fühlt und nicht mehr natürlich agieren kann, sollte er seine Taktik ändern. So auch Margarete Höke: Sie fertigte in der Folge bei einigen Schriftstücken einen Durchschlag mehr an und nahm andere Dokumente mit nach Hause, wo sie diese mit einer Kamera abfotografierte.
Auch wenn die Lippenstiftkamera ZVOUK nicht für jede Agentin zum gewünschten Ergebnis führte, so ist doch die Kreativität der Tarnung und technische Qualität der Konstruktion bemerkenswert. Wie viele von diesen Kameras durch die Techniker des KGB angefertigt wurden und wo sie noch zum Einsatz kamen, ist bis heute unklar. Im Deutschen Spionagemuseum finden sich im Bereich Agentenausstattung weitere faszinierende Beispiele, wie Frau (und Mann) Kameras, Mikrofone und auch Waffen unauffällig zum Einsatz bringen konnten.